I. Einleitung
Das neue Unterhaltsrecht sorgt für Verwirrung in der Bevölkerung. So titelte der Focus Ende Januar "Das neue Unterhaltsrecht – Null Euro für die Exfrau?". Juristen sprechen von einer Revolution. "Das neue Leid der Exfrauen" titelte Die Welt, und Sandra Maischberger interviewte Betroffene u.a. auch die Kollegin Peschel-Gutzeit in ihrer Talkshow "Menschen bei Maischberger – Der neue Scheidungskrieg! Sind die Frauen die Dummen?", um nur einige Themen aus den Medien zu zitieren.
Die Verwirrung wird noch zunehmen, wenn die ersten Entscheidungen getroffen werden müssen und die Leitlinien der jeweiligen Oberlandesgerichte in den einzelnen Bezirken angewendet werden.
Es ist zweifellos richtig, wenn die Unterhaltsleitlinien zur Schematisierung und zur Vereinheitlichung der Rechtsprechung herangezogen werden. In den Leitlinien werden über Tabellenquotenschlüssel hinaus zahlreiche Fragen der Berechnung des Unterhaltspflichtigen-Einkommens beim Kindes-, Trennungs- und Geschiedenenunterhalt behandelt.
Seit dem 1.7.2003 folgen sie einem einheitlichen Aufbauschema. Dies hat wenigstens den Vorteil, dass man unter der Ziffer 17 sofort findet, welche Auffassung im OLG Bezirk Nürnberg, im OLG-Bezirk Hamburg oder im Kammergerichtsbezirk Berlin zu dem Thema Erwerbsobliegenheit besteht.
Alle Leitlinien weisen in der Einführung darauf hin, dass die gewonnen Werte nur Richtwerte und Orientierungshilfen für die Ermittlung des konkreten Bedarfs im Einzelfall sein können. Sie sind anhand allgemein gültiger Gegebenheiten und typischer Sachlagens nach der Lebenserfahrung entwickelt, lassen aber individuelle Besonderheiten auf Seiten des Verpflichteten wie des Unterhaltsberechtigten zunächst außer Acht.
Die Anwendung der Leitlinien soll die Berechnung des angemessenen Unterhalts im Einzelfall niemals ersetzen, allerdings haben sie weitgehend in der Praxis Bindungscharakter für die Familiengerichte, deswegen sind sie rechtsstaatlich bedenklich.
Eine der wesentlichen Leitlinien war in der Vergangenheit das sog. Altersphasenmodell das von der Rechtsprechung entwickelt und strikt eingehalten wurde. Es wird inzwischen auch ironisch als 08/15-Modell bezeichnet.
1. Erwerbsobliegenheit wurde abgelehnt bei Betreuung eines Kindes, das noch nicht schulpflichtig ist,
- bis zum Alter von 8 Jahren
- bis zum Erreichen der 3. Grundschulklasse
- bei Betreuung von mehreren Kindern bis zum Alter des jüngsten Kindes von 14 Jahren.
2. Eine teilweise Erwerbsobliegenheit, die aber nicht den Umfang einer Halbtagstätigkeit erreichen musste, wurde angenommen
- bei einem Kind ab Beginn des 3. Schuljahres
- bzw. bei einem Kind im Alter von 9 bis 15 Jahren
- bei zwei Kindern bis 18 Jahren.
3. Volle Erwerbsobliegenheit wurde im Regelfall angenommen bei
- der Betreuung eines Kindes ab 15 bis 16 Jahren.
Von einer Einzelfallregelung konnte in den letzten Jahren keine Rede sein. Es wurde strikt das Modell angewendet, wobei es einzelne Oberlandesgerichte sogar fertig brachten, die Obergrenze, bei voller Erwerbstätigkeit, von 15 Jahren auch noch zu überschreiten und stattdessen 16 Jahre vorzusehen, bzw. bei der teilweisen Erwerbsobliegenheit statt 8 Jahren 10 Jahre zu verlangen.
Die spannende Frage wird jetzt sein, inwieweit der Wille des Gesetzgebers umgesetzt werden kann, an die Stelle des Altersphasenmodells im Hinblick auf die Gleichbehandlung nichtehelicher Mütter nach § 1615l BGB und ehelicher Mütter bei dem nachehelichen Unterhalt konkrete Einzelfallentscheidungen durchzusetzen.
Zu erwarten ist, dass "die Lordsiegelbewahrer der unveränderbaren Dogmen des Familienrechts" aus den letzten 30 Jahren alles daransetzen werden, das Altersphasenmodell weiter anzuwenden.
Es lässt sich in den letzten Jahren an einigen Beispielen erkennen, wie schwierig es ist, manche festgefahrenen Leitsätze aufzubrechen, z.B.:
1. Ein notarieller Ehevertrag, der einseitig zu Lasten des schwächeren Ehegatten einen Globalverzicht beinhaltet, ist wirksam. Jahrelang hat diese Rechtsprechung auch der BGH durchgehalten. Erst durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 2001 konnte hier eine Änderung der kompletten Rechtsprechung des BGH 2004 herbeigeführt werden (Kernbereichslehre des BGH).
2. Die Anrechnungsmethode ist das Maß aller Dinge bei der Berechnung des Unterhaltsanspruchs einer Ehefrau, die bisher Hausfrau war und teilweise einer beruflichen Tätigkeit nachgehen will. Der BGH hat in der legendären Entscheidung vom 13.6.2001 diese Rechtsprechung nach der Betreuungsphase der kinderbetreuenden Hausfrau, die eine Erwerbstätigkeit aufnehmen will, aufgebrochen und die Differenzmethode angewendet. Das Ergebnis dieser Surrogatsrechtsprechung war allerdings eine deutliche Verlängerung des Unterhaltsanspruchs, weil viele Unterhaltsansprüche bei Anwendung der früheren Anrechnungsmethode automatisch weggefallen waren.
3. Der nacheheliche Unterhaltsanspruch kann im Kern gar nicht befristet werden, wenn die Ehe länger als fünf Jahre gedauert hat (Stichwort: Lebensstan...