GG Art. 6 Abs. 2 S. 1, GG Art. 2 Abs. 1 i.V.m. GG Art. 1 Abs. 1, BGB § 1684 Abs. 1, FGG § 33 Abs. 1, 3
Leitsatz
1. Die den Eltern durch Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG auferlegte Pflicht zur Pflege und Erziehung ihres Kindes besteht nicht allein dem Staat, sondern auch ihrem Kind gegenüber. Mit dieser elterlichen Pflicht korrespondiert das Recht des Kindes auf Pflege und Erziehung durch seine Eltern aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG. Recht und Pflicht sind vom Gesetzgeber auszugestalten.
2. Der mit der Verpflichtung eines Elternteils zum Umgang mit seinem Kind verbundene Eingriff in das Grundrecht auf Schutz der Persönlichkeit aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG ist wegen der den Eltern durch Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG auferlegten Verantwortung für ihr Kind und dessen Recht auf Pflege und Erziehung durch seine Eltern gerechtfertigt. Es ist einem Elternteil zumutbar, zum Umgang mit seinem Kind verpflichtet zu werden, wenn dies dem Kindeswohl dient.
3. Ein Umgang mit dem Kind, der nur mit Zwangsmitteln gegen seinen umgangsunwilligen Elternteil durchgesetzt werden kann, dient in der Regel nicht dem Kindeswohl. Der durch die Zwangsmittelandrohung bewirkte Eingriff in das Grundrecht des Elternteils auf Schutz der Persönlichkeit ist insoweit nicht gerechtfertigt, es sei denn, es gibt im Einzelfall hinreichende Anhaltspunkte, die darauf schließen lassen, dass ein erzwungener Umgang dem Kindeswohl dienen wird.
BVerfG, Urt. v. 1.4.2008 – 1 BvR 1620/04 (OLG Brandenburg)
Aus den Gründen
Aus den Gründen: A. Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Frage, ob es mit dem Grundgesetz vereinbar ist, dass eine nach § 1684 Abs. 1 BGB titulierte Umgangspflicht eines Elternteils, der einen Umgang mit seinem Kind ablehnt, mit Zwangsmitteln durchgesetzt wird, deren Androhung und Verhängung § 33 Abs. 1 und 3 FGG ermöglicht.
I. 1. a) Mit dem Gesetz zur Reform des Kindschaftsrechts (Kindschaftsrechtsreformgesetz – KindRG) vom 16.12.1997 (BGBl I S. 2942), das am 1.7.1998 in Kraft trat, ist einem Kind in § 1684 Abs. 1 BGB ein eigenes Recht auf Umgang mit seinen Eltern eingeräumt worden. Zugleich ist in dieser Norm bestimmt, dass die Eltern nicht nur ein Recht zum Umgang mit ihrem Kind haben, sondern dazu auch verpflichtet sind. Über den Umfang, die Ausübung, eine Einschränkung oder einen Ausschluss des Umgangsrechts entscheidet nach § 1684 Abs. 3 und 4 BGB das Familiengericht. § 1684 BGB in den hier maßgeblichen Absätzen lautet:
(1) Das Kind hat das Recht auf Umgang mit jedem Elternteil; jeder Elternteil ist zum Umgang mit dem Kind verpflichtet und berechtigt.
(3) Das Familiengericht kann über den Umfang des Umgangsrechts entscheiden und seine Ausübung, auch gegenüber Dritten, näher regeln. …
(4) Das Familiengericht kann das Umgangsrecht oder den Vollzug früherer Entscheidungen über das Umgangsrecht einschränken oder ausschließen, soweit dies zum Wohl des Kindes erforderlich ist. Eine Entscheidung, die das Umgangsrecht oder seinen Vollzug für längere Zeit oder auf Dauer einschränkt oder ausschließt, kann nur ergehen, wenn andernfalls das Wohl des Kindes gefährdet wäre. Das Familiengericht kann insbesondere anordnen, dass der Umgang nur stattfinden darf, wenn ein mitwirkungsbereiter Dritter anwesend ist. Dritter kann auch ein Träger der Jugendhilfe oder ein Verein sein; dieser bestimmt dann jeweils, welche Einzelperson die Aufgabe wahrnimmt.
Auf die zwangsweise Durchsetzung des Umgangs, zu dem § 1684 Abs. 1 BGB einen Elternteil verpflichtet, findet § 33 FGG Anwendung. Die Vorschrift in den hier einschlägigen Absätzen lautet:
(1) Ist jemandem durch eine Verfügung des Gerichts die Verpflichtung auferlegt, eine Handlung vorzunehmen, die ausschließlich von seinem Willen abhängt … , so kann ihn das Gericht, soweit sich nicht aus dem Gesetz ein anderes ergibt, zur Befolgung seiner Anordnung durch Festsetzung von Zwangsgeld anhalten. …
(3) Das Zwangsgeld (Absatz 1) muss, bevor es festgesetzt wird, angedroht werden. Das einzelne Zwangsgeld darf den Betrag von fünfundzwanzigtausend EUR nicht übersteigen. …
b) Während des Gesetzgebungsverfahrens war strittig, ob Umgangskontakte mit einem Kind erzwingbar sein sollten. Im Gesetzentwurf der Bundesregierung war zunächst weder ein Umgangsrecht des Kindes noch eine Umgangspflicht der Eltern enthalten, weil man der Ansicht war, erzwungene Umgangskontakte seien nicht geeignet, dem Kindeswohl zu dienen (BT-Drucks 13/4899, S. 68). Dagegen schlug der Bundesrat in seiner Stellungnahme vor, dem Kind ein eigenes Recht auf Umgang einzuräumen, das dieses jedoch erst ab Vollendung des 14. Lebensjahres und nur höchstpersönlich solle geltend machen können. Eine Vollstreckbarkeit des Umgangsrechts lehnte der Bundesrat allerdings ab, weil ihm Zwangsmittel zur Durchsetzung einer persönlich nahen Beziehung schwer belastend und nicht angemessen erschienen (BT-Drucks 13/4899, S. 153, 161 f.). Der Rechtsausschuss des Bundestags empfahl demgegenüber, das Reformziel, die Rechte des Kindes zu fördern und seine Belange in den Vordergrund zu stellen, mit einem Umgangsrecht ...