I. Einführung
Das französische und belgische Recht gehören beide zum romanischen Rechtskreis und ihnen wird oft ein Mutter-Tochter-Verhältnis nachgesagt. Dies stimmt bis heute noch in mehreren Rechtsgebieten, vor allem im Privatrecht. Beide Rechtssysteme teilen das gleiche Gedankengut. Der französische Code civil, der in 1804 auch in Belgien eingeführt worden ist, bleibt eine gemeinsame Grundlage. Aber in vielen Rechtsgebieten, und besonders im Familienrecht, ist es in beiden Rechtssystemen zu Reformen gekommen, die zu wirklich großen Unterschieden geführt haben. Dies gilt z.B. für das Scheidungsrecht.
In den letzten Jahren sind die Entwicklungen von einer großen Liberalität gezeichnet. Beispiele sind die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare sowie die Adoption durch Personen gleichen Geschlechts.
Das belgische internationale Privatrecht war, abgesehen von wenigen Ausnahmen wie z.B. dem internationalen Adoptionsrecht und Ehescheidungsrecht, bis 2004 nicht kodifiziert. Die anzuwendenden Regeln waren Rechtsprechung und Lehre zu entnehmen. Zwar hatten die Benelux-Staaten im Rahmen der Rechtsvereinheitlichung einen Entwurf zur Kodifizierung des internationalen Privatrechts fertiggestellt, eine Ratifizierung war aber ausgeblieben. Das Gesetz vom 16. Juli 2004 zur Einführung des Gesetzbuches über das internationale Privatrecht beinhaltet nunmehr eine Gesamtkodifikation.
Dieser Beitrag skizziert das Scheidungsrecht und das Ehegüterrecht und behandelt sowohl das materielle als auch das internationale Familienrecht.
II. Ehescheidung
1. Materielles Recht
Jahrelang diskutierte das Parlament eine Reform des Scheidungsrechts, das noch dem Schuldprinzip verhaftet war, obwohl diesem Prinzip in der Praxis keine allzu große Rolle zukam, da 75 bis 80 % der Scheidungswilligen von der einverständlichen Scheidung Gebrauch machten. Mit Gesetz vom 27. April 2007 sind sowohl die Scheidungsgründe als auch das Unterhaltsrecht grundlegend geändert worden.
Das Scheidungsgesetz gibt die alte Systematik auf. Die Scheidung aus bestimmten Gründen und die Scheidung aufgrund faktischer Trennung werden abgeschafft. Stattdessen wird die Scheidung aufgrund einer unheilbaren Zerrüttung der Ehe eingeführt. Die einverständliche Scheidung wird beibehalten, aber vereinfacht.
a) Scheidung aufgrund unheilbarer Ehezerrüttung
Mit dem Scheidungsgrund der unheilbaren Ehezerrüttung wird Abstand vom Schuldprinzip genommen. Die Ehescheidung ist keine Sanktion für Fehlverhalten mehr, sondern ein Recht für die Ehegatten. Wenn der Richter feststellt, dass die Ehe unheilbar zerrüttet ist, muss er die Ehescheidung aussprechen (Art. 229 § 1 S. 1 ZGB).
Der Scheidungsgrund der unheilbaren Ehezerrüttung kennt drei Formen:
- Die Ehe ist unheilbar zerrüttet, wenn die Fortsetzung des Zusammenlebens der Ehegatten und dessen Wiederherstellung redlicherweise unmöglich geworden ist (Art. 229 § 1 S. 2 ZGB). Der Beweis der unheilbaren Zerrüttung kann mit allen gesetzlichen Mitteln nachgewiesen werden (Art. 229 § 1 S. 3 ZGB). In diesem Fall spricht der Richter die Ehescheidung sofort aus, ohne dass eine Trennungsfrist oder eine Wartezeit erforderlich ist. Auch wenn das Schuldprinzip offiziell abgeschafft ist, bietet dieser Grund die Möglichkeit, Fehlverhalten eines Ehegatten als Beweis für die unheilbare Zerrüttung anzuwenden. Sogar die Möglichkeit der Feststellung des Ehebruchs durch Gerichtsvollzieher bleibt bestehen. Das Fehlverhalten dient aber nur der objektiven Feststellung der Zerrüttung und hat für die Ehescheidung als solche keine weiteren Folgen.
- Die Zerrüttung wird unwiderlegbar vermutet, wenn beide Ehegatten die Scheidung beantragen nach sechsmonatiger faktischer Trennung oder, wenn sie noch keine sechs Monate getrennt leben, nach wiederholtem Antrag nach Ablauf der sechsmonatigen Trennungsfrist oder nach wiederholtem Ant...