Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten I. Hönlinger, J. Montag, E. Deligöz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Drucksache 17/5360 –
Vorbemerkung der Fragesteller
Der Bundesgerichtshof geht in seinem Urteil vom 30. Juli 2008 (BGHZ 177, 356) davon aus, dass die für die Höhe des Unterhaltsbedarfs maßgeblichen Lebensverhältnisse einer geschiedenen Ehe Veränderungen unabhängig davon erfahren können, ob diese in der Ehe angelegt waren oder nicht. In dem Urteil hat er erstmals eine Unterhaltspflicht gegenüber einem neuen Ehepartner in die Bemessung des Bedarfs des vorangegangenen, geschiedenen Ehegatten einbezogen. Dies ist die so genannte Dreiteilungsmethode.
Das Bundesverfassungsgericht hat diese Rechtsprechung mit Beschluss vom 25. Januar 2011 (1 BvR 918/10) für verfassungswidrig erklärt. Das Bundesverfassungsgericht stützt seine Entscheidung insbesondere darauf, dass der Bundesgerichtshof die Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung überschritten hat. Artikel 2 Absatz 1 des Grundgesetzes (GG) i.V.m. Artikel 20 Absatz 3 GG sind verletzt.
In einem Interview hat die Bundesministerin der Justiz, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, mitgeteilt, dass sie Frauen, die wegen ihrer Ehe aus dem Berufsleben ausgeschieden sind, nach einer Scheidung künftig höhere Unterhaltsansprüche einräumen möchte als bisher (DER TAGESSPIEGEL v. 14.1.2011).
Vorbemerkung der Bundesregierung
Die maßgebliche Aufgabe des Unterhaltsrechts ist es, die widerstreitenden Interessen Unterhaltsberechtigter und Unterhaltspflichtiger in einen angemessenen Ausgleich zu bringen. Die Situation der so genannten Zweitfamilien hat der Reformgesetzgeber von 2008 dabei durch mehrere gesetzliche Änderungen gestärkt. Betreut der geschiedene Ehegatte etwa gemeinsame minderjährige Kinder, setzt seine grundsätzliche (Teil-) Erwerbsobliegenheit – unter Berücksichtigung der Belange des Kindes – jetzt früher ein als vor der Reform. Außerdem hat der Gesetzgeber die Anforderungen an die Angemessenheit einer Erwerbstätigkeit des geschiedenen Ehegatten (§ 1574 des Bürgerlichen Gesetzbuchs – BGB) modifiziert.
Auch die Änderung der Rangfolge der Unterhaltsberechtigten nach § 1609 BGB verbessert die Situation der Zweitfamilien. Alle minderjährigen Kinder und die ihnen gleichgestellten volljährigen Schüler haben nunmehr Vorrang, unabhängig davon, ob es sich um gemeinsame Kinder oder um Kinder aus einer neuen Beziehung handelt. Nach der neuen Rangfolge ist allein ausschlaggebend, inwiefern der Unterhaltsberechtigte schutzbedürftig ist. Elternteile, die ein gemeinsames minderjähriges Kind betreuen, oder Ehegatten, die lange verheiratet waren oder sind, stehen daher gleichberechtigt im zweiten Rang.
Für den Unterhaltspflichtigen wichtig ist schließlich insbesondere die erweiterte Möglichkeit, Unterhaltsansprüche – unter Wahrung der Belange eines gemeinsamen Kindes – zu befristen oder der Höhe nach zu begrenzen, wenn eine an den ehelichen Lebensverhältnissen orientierte Bemessung des Unterhaltsanspruchs unbillig wäre (§ 1578b BGB).
Die Unterhaltsrechtsreform hat damit ein Instrumentarium geschaffen, das es ermöglicht, im konkreten Einzelfall die Interessen des Unterhaltspflichtigen und des Unterhaltsberechtigten in einen angemessenen Ausgleich zu bringen.
1. Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 25. Januar 2011, Aktenzeichen 1 BvR 918/10?
An der Bemessung des Unterhaltsbedarfs eines geschiedenen Ehegatten an den ehelichen Lebensverhältnissen (§ 1578 BGB) hat der Reformgesetzgeber von 2008 bewusst festgehalten. Hintergrund dieser Regelung ist insbesondere der Gedanke, dass der eheliche Lebensstandard regelmäßig auf Leistungen beider Ehegatten beruht. Dies führt indes zu keiner "Lebensstandardgarantie". Vielmehr räumt das Gesetz, worauf auch das Bundesverfassungsgericht hinweist, die Möglichkeit ein, nacheheliche Unterhaltsansprüche zeitlich zu befristen und/oder der Höhe nach zu begrenzen, wenn eine an den ehelichen Lebensverhältnissen orientierte Bemessung des Unterhaltsanspruchs unbillig wäre.
Von dieser Befristungs- und Begrenzungsmöglichkeit macht die Rechtsprechung auch Gebrauch. Die mit der Reform beabsichtigte Stärkung der Eigenverantwortung der Ehegatten nach Scheidung wird daher anscheinend in der Praxis bereits in einem hohen Maße erreicht.
2. Sieht die Bundesregierung darüber hinaus gesetzgeberischen Handlungsbedarf, und wenn ja, welchen?
Bei Neuregelungen von einer besonderen gesellschaftspolitischen Tragweite wie die des Unterhaltsrechts werden die Wirkungen der Reform in der Praxis regelmäßig wissenschaftlich untersucht. Eine verlässliche Bewertung der Unterhaltsrechtsreform setzt indes eine ausreichende Datenbasis voraus. Unabhängig von einer solchen wissenschaftlichen Auswertung der gesetzlichen Neuregelungen beobachtet die Bundesregierung sehr genau, ob die Rechtsprechung einerseits den mit der Reform verfolgten Zielen, insbesondere der Förderung des Kindeswohls,...