a) Zu den Pflichten des Tatsachengerichts gehört zunächst eine umfassende und unvoreingenommene Aufklärung des Sachverhalts (vgl. Rn 44). Hier sieht es so aus, als hätte das OLG mögliche Bedenken gegen die Sorgeübernahme durch den Vater gar nicht erst zur Kenntnis nehmen wollen. Dies betrifft die Anhörung des (immerhin fast 8 Jahre alten) Kindes (dazu noch unten b)), aber auch die fehlende Aufklärung der Lebens- und Betreuungsverhältnisse nach einem möglichen Aufenthaltswechsel zum Vater (Rn 59). Die vom OLG vorgenommene vergleichende Persönlichkeitsbewertung beider Eltern ist zwar ein wichtiger Entscheidungsgesichtspunkt, aber nicht Selbstzweck: Im Lichte des Kindeswohls sind die Lebensalternativen des Kindes bei Vater oder Mutter umfassend zu ermitteln und zu vergleichen. Dazu gehört nicht nur die Möglichkeit für die Tochter, beim Vater "auch ihre deutsche Herkunft in ausreichendem Maße zu erfahren" (Rn 59), sondern schon ganz banal die konkrete Lebens- und Betreuungssituation, die das Kind beim Vater vorfinden würde. Fehlt es insoweit an einer "möglichst zuverlässigen Entscheidungsgrundlage", sind Kindeswohlprinzip wie Elternrecht verletzt.
b) Zur hier unterbliebenen Kindesanhörung sah sich der BGH genötigt, längst etablierte Grundsätze zu wiederholen und deren Einhaltung anzumahnen (Rn 61-67). Die Anhörung hat die Funktion, das Kind als eigenständige Persönlichkeit und letztlich auch hauptsächlich betroffene Person den entscheidenden Richtern unvermittelt vor Augen zu führen und ihnen Gelegenheit zu geben, seine Ansichten und Wünsche von ihm selbst kennenzulernen. Deshalb steht die Kindesanhörung selbstverständlich nicht zur Disposition der übrigen Verfahrensbeteiligten (Rn 66); sie wird auch nicht überflüssig, weil das Gericht das Kind schon in anderen Verfahren (mit anderen Themen) kennen gelernt hat (Rn 62). Sie hat durch den gesamten Senat zu erfolgen (Rn 65) und sie wird auch nicht dadurch entbehrlich, dass das Gericht einen seiner späteren Entscheidung entgegenstehenden Kindeswillen unterstellt und dennoch an ihr festhält – vielleicht hätte das Kind, über ein bloßes "Ja" oder "Nein" zum Sorgerechtswechsel hinaus, doch noch Informationen oder Eindrücke zu vermitteln, die die Entscheidung hätten beeinflussen können. Wohlgemerkt: Auch die Durchführung einer Kindesanhörung kann im Einzelfall nach Art oder Häufigkeit das Kindeswohl verletzen. Das werden aber Ausnahmen sein, die nicht leichthin unterstellt werden dürfen, soll nicht die grundsätzliche Pflicht zur Kindesanhörung in ihr Gegenteil verkehrt werden.
c) Begrüßenswert sind auch die deutlichen Worte des BGH zur Verfahrenspflegschaft (jetzt: Beistandschaft; Rn 68–71). Gerade angesichts der umstrittenen Begrenzungen, die der Verfahrensbeistand in § 158 FamFG hinnehmen musste, sollte die große Bedeutung, die der BGH dieser Institution in streitigen Sorgerechtsfällen beilegt, eine deutliche Mahnung an die Familiengerichte sein, sie ernst zu nehmen und nicht verfahrenstechnisch "ineffektiv" zu machen.
d) Geradezu eine Ohrfeige erhält das Berufungsgericht durch die Zurückverweisung des Falles an einen anderen Senat, die der BGH (Rn 72) ausdrücklich begründet auch mit der Anordnung sofortiger Vollziehbarkeit durch das OLG binnen extrem kurzer Frist (effektiv 3 Tage, nach fast 3 Jahren Verfahrensdauer und bisher durchgängigem Leben des Kindes bei der Mutter). Nicht nur im materiellen Recht, sondern auch im Verfahrensrecht ist die Wahrung und Förderung des Kindeswohls das alles beherrschende Leitprinzip – es leitet die staatliche Wächterfunktion in seiner Gesamtheit. Zusammen mit der Nichtanhörung des Kindes zeigt die vom OLG gesetzte Vollzugsfrist eine merkwürdige Ferne des Senats von der seinem Schutz anvertrauten Person. Denken und entscheiden die Gerichte aber nicht kindes-, sondern erwachsenenzentriert, mutiert die Schutzintervention des staatlichen Wächters leicht zu einer "sekundären Kindeswohlgefährdung".