Vom Ansatz her beruht jeder nacheheliche Unterhaltsanspruch auf der nachehelichen Solidarität, sofern er nicht – vorrangig – wegen ehebedingter Nachteile gewährt wird. Der Umstand, dass § 1578b Abs. 1 S. 2 BGB vorrangig ("insbesondere") auf das Vorliegen eines ehebedingten Nachteils abstellt, bedeutet also nicht im Umkehrschluss, dass beim Fehlen solcher Nachteile der nacheheliche Unterhalt regelmäßig zu befristen wäre. Vielmehr betont der BGH schon seit Längerem, dass sich die Vorschrift nicht auf die Kompensation ehebedingter Nachteile beschränkt, sondern im Rahmen der Billigkeitsabwägung auch eine darüber hinausgehende nacheheliche Solidarität zu berücksichtigen ist. Dies kann gerade beim Krankheitsunterhalt von Bedeutung sein, weil der Anspruch nach § 1572 BGB regelmäßig nicht mit einem ehebedingten Nachteil einhergeht. Eine Erkrankung wird nur in den seltensten Fällen als ehebedingt, sondern vielmehr im Regelfall als schicksalhaft anzusehen sein; deshalb kann ein ehebedingter Nachteil nicht schon dann bejaht werden, wenn die Krankheit während der Ehe eingetreten ist.
Im Rahmen einer umfassenden Billigkeitsabwägung ist das im Einzelfall gebotene Maß der nachehelichen Solidarität anhand der in Abs. 1 S. 3 genannten Gesichtspunkte (Dauer der Pflege oder Erziehung eines gemeinschaftlichen Kindes; Gestaltung von Haushaltsführung und Erwerbstätigkeit während der Ehe) festzulegen, wobei die praktizierte Rollenverteilung und die vom Berechtigten während der Ehe erbrachte Lebensleistung von wesentlicher Bedeutung sind.
Allerdings rechtfertigt eine lange Ehedauer nicht für sich allein einen fortdauernden Unterhalt nach den – die eigene Lebensstellung übersteigenden – ehelichen Lebensverhältnissen; denn die Gesetzesänderung von 2013 (siehe unter A. II. 5.) hat die Ehedauer nur systematisch dem Kriterium des ehebedingten Nachteils gleichgestellt, aber inhaltlich keine andere Bewertung vorgenommen. Deshalb gibt es – anders als nach früherer Gesetzeslage – keinen "Automatismus" zwischen Ehedauer und Anspruch mit der Folge, dass ab einer bestimmten Ehedauer regelmäßig von einem ungekürzten Unterhaltsanspruch auszugehen wäre. Allerdings spricht eine lange Ehedauer häufig indiziell für eine starke wirtschaftliche Verflechtung, die durch Aufgabe eigener Erwerbstätigkeit wegen Kindesbetreuung oder Haushaltsführung eingetreten ist. Das kann auch beim Aufstockungsunterhalt berücksichtigt werden. Die nacheheliche Solidarität ist insbesondere beim Alters- und Krankheitsunterhalt von Bedeutung, vor allem unter dem Aspekt der beiderseitigen wirtschaftlichen Verflechtung. Im Rahmen der Lebensleistung des Berechtigten ist zu überprüfen, inwieweit der Schuldner beruflichen Aufstieg und aktuelles Einkommen in besonderem Maße der Ehe mit dem Berechtigten zu verdanken hat, z.B. in Fällen, in denen sich die heutigen Einkommensverhältnisse als Fortwirkung von Karrierechancen darstellen, die ihm der Berechtigte ermöglicht hat.