FamFG §§ 7 Abs. 1, 3, 5, 161 Abs. 1, BGB § 1632 Abs. 4
Leitsatz
1. Das Gericht darf nicht über das Sorgerecht entscheiden, ohne den Antrag der Pflegeeltern auf Erlass einer Verbleibensanordnung nach § 1632 Abs. 4 BGB zu berücksichtigen; es handelte sich sonst um eine versteckte Teilentscheidung.
2. Im Verfahren auf Erlass einer Verbleibensanordnung sind die Pflegeeltern nach § 7 Abs. 1 FamFG sog. "Muss"Beteiligte. Es spricht einiges dafür, dass sie auch im Übrigen am Sorgerechtsverfahren auf ihren Antrag nach § 7 Abs. 3 FamFG zu beteiligen sind.
(Leitsätze der Red.)
OLG Hamm, Beschl. v. 17.10.2019 – 11 WF 155/19 und 190/19 (AG Essen)
Aus den Gründen
Gründe: 1. [1] Die gem. §§ 7 Abs. 5 S. 2 FamFG, 567 ff. ZPO zulässige Beschwerde der Pflegeeltern gegen den Beschl. v. 30.4.2019, mit dem ihre Hinzuziehung als Beteiligte zu dem Sorgerechtsverfahren abgelehnt worden ist, ist begründet.
a) [2] Mit einstweiliger Anordnung vom 12.4.2018 (AG Essen -109 F 93/18) wurde der seinerzeit allein sorgeberechtigen Mutter die elterliche Sorge für das betroffene Kind entzogen und das Jugendamt Solingen zum Vormund bestimmt. Bereits zuvor war das sieben Monate alte Kind … bei den Pflegeeltern untergebracht worden, wo es seither lebt.
[3] Daneben ist das vorliegende Hauptsacheverfahren eingeleitet worden. Mit Beweisbeschluss vom 22.10.2018 hat das Amtsgericht den Sachverständigen Prof. Dr. M. mit der Erstattung eines familienpsychologischen Sachverständigengutachtens beauftragt zu der Frage, welche Sorgerechtsregelung dem Wohl des betroffenen Kindes am besten dient. Für den Fall, dass eine Fremdunterbringung empfohlen würde, sollte sich der Sachverständige auch zum Umgang des Kindes mit der Mutter äußern. Im Februar 2019 lag das schriftliche Gutachten vor. Der Vater, der seine Vaterschaft zwischenzeitlich anerkannt hatte, wurde von dem Sachverständigen in die Begutachtung einbezogen. Dessen Empfehlung ging dahin, die Unterbringung des Kindes in der Pflegefamilie zu beenden und es in die Obhut der Eltern zu geben. Der Vater sei willens und in Lage, die Erziehungsverantwortung zu übernehmen. Die elterliche Sorge sollte auf beide Eltern (zurück-)übertragen werden, auf den Vater zusätzlich das alleine Aufenthaltsbestimmungsrecht.
[4] Die Eltern beantragten so zu verfahren, wie der Sachverständige es vorgeschlagen hatte. Das Amtsgericht bestimmte einen Termin zur mündlichen Verhandlung am 30.4.2019.
[5] Mit Schriftsatz vom 18.3.2019 meldeten sich die Rechtsanwältinnen M. & W. (Rechtsanwältin Dr. I.) für die Pflegeeltern und beantragten zunächst, dass diese gem. §§ 7 Abs. 3, 161 Abs. 1 FamFG an dem Sorgerechtsverfahren beteiligt werden. Gleichzeitig beantragten sie Akteneinsicht, die ihnen auch gewährt wurde.
[6] Mit Schriftsatz vom 17.4.2019 beantragten die Pflegeeltern, den Sorgerechtsentzug aufrechtzuerhalten und das Begehren der Eltern auf (Rück-)Übertragung der elterlichen Sorge zurückzuweisen. Gleichzeitig stellen sie für den Fall, dass das Sorgerecht auf die Eltern übertragen würde, ausdrücklich den Antrag, den Verbleib des Kindes L. in ihrem Haushalt anzuordnen (§ 1632 Abs. 4 BGB).
[7] Die Pflegeeltern erschienen zu dem Termin beim Amtsgericht am 30.4.2019. Dort wurde zunächst zur Frage der Beteiligtenfähigkeit der Pflegeeltern verhandelt und seitens des Gerichts der Beschluss verkündet, dass diese nicht zu dem Verfahren zugelassen würden. Im Anschluss daran brachten die Pflegeeltern Ablehnungsgesuche gegen den Familienrichter und gegen den Sachverständigen an. Gleichwohl wurde die mündliche Verhandlung – ohne die Pflegeeltern und ihren Terminsvertreter – fortgesetzt, weil das Amtsgericht deutlich machte, dass es die Ablehnungsgesuche für unzulässig halte, weil die Pflegeeltern eben keine Verfahrensbeteiligten seien.
[8] In Anwesenheit der übrigen Verfahrensbeteiligten erließ das Amtsgericht schließlich – durch Verlesen der Beschlussformel – seine Entscheidung in der Hauptsache, wonach die elterliche Sorge für L. zunächst beiden Eltern übertragen und anschließend das Aufenthaltsbestimmungsrecht allein auf den Vater übertragen wurde. Dieser Beschluss ist von keiner Seite angefochten worden.
b) [9] Es kann dahinstehen, ob die Pflegeeltern gem. §§ 7 Abs. 3, 161 Abs. 1 FamFG zu dem Sorgerechtsverfahren hinzuziehen gewesen wären. Dafür spricht zwar einiges. Andererseits könnte das Rechtsschutzbedürfnis für die Hinzuziehung entfallen sein, weil das Amtsgericht in der Hauptsache rechtskräftig entschieden hat (vgl. hierzu: Keidel/Zimmermann, FamFG, 19. Aufl. 2017, § 7 Rn 22).
[10] Das Amtsgericht hat aber bislang den Antrag der Pflegeeltern aus dem Schriftsatz vom 17.4.2019 auf den Erlass einer Verbleibensanordnung gem. § 1632 Abs. 4 BGB übergangen. Dieser hat sich auch keinesfalls mit dem Erlass des (Hauptsache-)Beschlusses vom 30.4.2019 erledigt, sondern setzt dessen Wirksamkeit geradezu voraus. Das Verfahren vor dem Amtsgericht ist deshalb noch nicht abgeschlossen. Bei der Sorgerechtsregelung vom 30.4.2019 handelt es sich faktisch um einen verdeckten Teilbeschluss.
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