Undine Krebs
Ich hatte in der Kanzlei nun zwei Fälle, bei denen der Tatbestand einer Vertretung widerstreitender Interessen im Raum gestanden hat.
Überraschend war, dass in beiden Fällen renommierte und erfahrene Anwälte tätig waren, die aber den Umgang damit ausgesprochen lässig handhabten. Sie kümmerten sich weder um ihren eigenen Ruf noch um den der Anwaltschaft. Strafrechtliche Überlegungen stellten sie nicht einmal ansatzweise an.
Eine Mandantin suchte mich auf, als sie zufällig ein Schreiben auf dem Schreibtisch ihres Ehemannes fand, welches eine mehrseitige Zusammenfassung über ein früheres Beratungsgespräch ihres Anwalts, der sie nun im Scheidungsverfahren vertrat, mit ihrem Ehemann zum Inhalt hatte. Dieses Gespräch lag ca. zwei Jahre zurück. Sie las, welche taktischen Hinweise der Anwalt seinem damaligen Mandanten, ihrem Mann, erteilt hatte. Der Kollege, darauf sofort von ihr angesprochen, entschuldigte sich. Er meinte, aufgrund der unterschiedlichen Nachnamen habe wohl das System diese Kollision nicht angezeigt, möglicherweise wäre auch seine Mitarbeiterin schuld. Er werde ihr selbstverständlich die Kosten für den Scheidungsantrag, den er bereits eingereicht habe, nicht in Rechnung stellen. Den Vorschlag der Mandantin, zumindest auch einen Teil der außergerichtlichen Gebühren zurückzuerstatten, wies er von sich. Er zahle nichts zurück. Das Geld sei verdient. Die neu mandatierte Anwältin könne nahtlos an dem Ergebnis der Beratungen anknüpfen. Ein Schaden sei nicht entstanden. Die Entschuldigung und diese Aussagen erfolgten sämtlich schriftlich, telefonisch war der Kollege nicht mehr zu sprechen.
Im zweiten Fall, es handelt sich um das Auskunftsersuchen einer Mandantin, wies die gegnerische Anwältin darauf hin, dass interne Recherchen zwar ergeben hätten, dass die Mandantin schon einmal von dem vormaligen Sozius vertreten worden sei. Man sei aber der Ansicht, dass dies kein Problem darstelle, da die Unterlagen mittlerweile vernichtet worden seien, sodass die nun zuständige sachbearbeitende Anwältin auf diese gar keinen Zugriff mehr habe. Wenn man das anders sehe, könne man dies gerne mitteilen.
Beide Mandantinnen sind empört und wollen sich nun an die Anwaltskammer wenden.
Gem. § 3 Abs. 1 BORA darf ein Rechtsanwalt nicht tätig werden, wenn er eine andere Partei in derselben Rechtssache im widerstreitenden Interesse bereits beraten oder vertreten hat oder in sonstiger Weise i.S.d. §§ 45, 46 BRAO beruflich befasst war. Über § 3 Abs. 2 S. 1 BORA gilt dieses Verbot auch für alle mit ihm in derselben Berufsausübungs- oder Bürogemeinschaft verbundenen Rechtsanwälte. Auch wenn die Beratung schon Jahre her ist, basiert bei Familiensachen (Ehe- u. Folgesachen) in der überwiegenden Anzahl möglicher Konstellationen alles auf demselben Lebenssachverhalt und in aller Regel widersprechen sich auch die Interessen von Eheleuten.
Der Anwalt, der für seine Mandantin außergerichtlich oder gerichtlich Ansprüche geltend macht, die Gegenstand einer früheren Beratung des jetzigen Gegners waren, verstößt gegen § 3 Abs. 1 BORA und begeht evtl. auch eine Straftat, wenn er dadurch den Tatbestand des § 356 StGB erfüllt. Er leistet einer Partei Rat und Beistand, nachdem er einer anderen Partei in derselben Sache – aber im entgegengesetzten Sinne – bereits Rat und Beistand gewährt hat.
Die Rechtsprechung, die hierzu existiert, ist jedenfalls so umfangreich, dass es jeder Anwalt vermeiden sollte, sich in eigener Sache mit dieser auseinandersetzen zu müssen und er sollte auch den Imageschaden für sich und die Anwaltschaft allgemein bedenken, die sein pflichtwidriges Handeln verursacht.
Autor: Undine Krebs
Undine Krebs, Rechtsanwältin und Fachanwältin für Familienrecht, München
FF 7/2020, S. 265