Interview mit Prof. Dr. Isabell Götz, Vorsitzende Richterin am OLG München, Vorsitzende des Dt. Familiengerichtstages e.V.
Prof. Dr. Isabell Götz
Schnitzler/FF: Die Bundesjustizministerin hat zum 1. Juli im Rahmen des Reformpakets zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder nicht nur strafrechtliche Änderungen, sondern in einem zweiten Teil auch gesetzgeberische Maßnahmen außerhalb des Strafrechts gefordert. In diesem Teil spricht sie sich u.a. für die Einführung spezifischer Eingangsvoraussetzungen für Familienrichterinnen und Familienrichter aus und kündigt zudem einen Vorschlag für eine diese betreffende allgemeine Fortbildungspflicht an. Kommt das für Sie überraschend?
Götz: Überhaupt nicht. Sowohl das Thema Eingangsvoraussetzungen für Familienrichterinnen und Familienrichter als auch die Fortbildungsverpflichtung sind doch seit Jahren auf der Agenda. Der Familiengerichtstag hat seine diesbezüglichen Forderungen – ich möchte fast sagen "gebetsmühlenartig" – wiederholt. Es gibt dazu Absichtserklärungen, Handlungsempfehlungen, Anträge und Anfragen, Bundestagsbeschlüsse und eine kaum mehr zu übersehende Zahl hochkarätiger Vorschläge aller Professionen. Mit Blick auf die unfassbaren Missbrauchsfälle der letzten Monate und Jahre waren daher deutliche und konkrete Forderungen überfällig und letztlich unausweichlich.
Schnitzler/FF: Nach dem Missbrauchsfall in Staufen hat eine Kommission in Baden-Württemberg zügig ihre Arbeit aufgenommen und einen Abschlussbericht mit Verbesserungsvorschlägen vorgelegt. Aktuell arbeiten andere Gremien noch an dem Thema. Was ist von den bereits bestehenden Projekten zu erwarten? Ist eine parallele Arbeit überhaupt sinnvoll?
Götz: Vorab: Ich halte es für unbedingt notwendig, die erforderlichen Schritte und deren bestmögliche Realisierung unter vielen Blickwinkeln gründlich zu prüfen, Sachverstand zu bündeln und dabei insbesondere auch – ebenfalls ein Anliegen von Frau Lambrecht – die Vernetzung und Zusammenarbeit der befassten Professionen zu verbessern. Auch wenn die Zielsetzung der verschiedenen mit dem Thema im weiteren Sinn derzeit befassten Gremien (z.B. Nationaler Rat gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen, Projekt "Gute Kinderschutzverfahren", Projekt "Kinderrechtsbasierte Kriterien für das familiengerichtliche Verfahren") nicht völlig identisch ist, würde ich mir doch wünschen, dass zwischen ihnen ein Austausch stattfindet oder zumindest jetzt beginnt. Denn letztlich haben sie ein Ziel gemeinsam, nämlich den bestmöglichen Schutz aller Kinder. Dass es hierbei ggfs. kreativer Lösungen bedarf, die nicht unbedingt den gewohnten Bahnen folgen müssen, sollte kein Hindernis darstellen. Möglicherweise könnte insoweit der Einsatz eines fachkundigen und zugleich neutralen Dritten sicherstellen, dass bereits vorhandene Ergebnisse in die gesetzgeberischen Überlegungen einfließen.
Schnitzler/FF: Im Reformpaket wird zudem angekündigt, die Qualifikationsanforderungen für Verfahrensbeistände – besser bekannt unter dem Begriff "Anwalt des Kindes" – gesetzlich zu regeln. Stimmen Sie dem zu?
Götz: Dem Verfahrensbeistand kommt im familiengerichtlichen Verfahren im Allgemeinen und im Kindesschutzverfahren im Besonderen eine sehr wichtige Rolle zu. Für ihn gilt, wie für alle anderen Akteure im Kindesschutzverfahren auch, dass er auf seine spezifische Rolle und deren Erfüllung bestmöglich vorbereitet und dementsprechend ausgebildet sein muss. Dieser Forderung von Frau Lamprecht stimme ich daher uneingeschränkt zu, zumal sie einer Empfehlung des letzten Familiengerichtstags entspricht.
Schnitzler/FF: Zunächst hatte man gehofft, dass der Fall Staufen in Freiburg ein Ausnahmefall von Kindesmissbrauch in extremem Umfang wäre. Hinzugekommen sind aber binnen kurzer Zeit die Fälle in Lügde, Bergisch-Gladbach und nun auch in Münster. In allen Fällen geht es auch um die Frage eines Versagens der Familiengerichte. Lässt sich so etwas mit den geplanten Maßnahmen verhindern?
Götz: Eine absolute Sicherheit werden wir nie haben. Einzelfälle werden auch bei bestmöglich geschulten Akteuren immer unentdeckt bleiben, weil die Familie nach außen unauffällig lebt und keinerlei Hinweis einen Verdacht säht. Gut geschulte Akteure im Kindesschutz vermögen jedoch Indizien schneller zu erfassen, ein bestimmtes stereotypes Täterhandeln rascher zu erkennen. Wenn dann noch die jeweiligen Ermittlungsbefugnisse und -möglichkeiten ausgeschöpft und die speziellen Handlungsoptionen von Polizei, Jugendamt und Familiengericht bestmöglich koordiniert werden, sollten wir eine schlagkräftige Struktur bekommen.
Schnitzler/FF: Was müsste ggfs. noch hinzukommen?
Götz: Bei den schrecklichen Fällen der letzten Zeit war sehr schnell sehr viel vom Fehlverhalten der Professionellen die Rede, das ich ja auch gar nicht ganz von der Hand weisen will. Aber damit wir unsere Aufgabe erledigen können, brauchen wir die Hilfe aller, denen Kinder am Herzen liegen. Der Campingwagen in Lügde stand nicht auf dem Mond und das Gartenhaus in Münste...