BGB § 1573 Abs. 2 § 1578b; FamFG § 243 Abs. 1 Nr. 1, Halbs. 2
Leitsatz
1. Bei der erstmaligen Geltendmachung von Vorsorgeunterhalt in der Beschwerdeinstanz handelt sich nicht um einen unzulässigen Nachforderungsantrag, sondern um eine im Beschwerdeverfahren zulässige Antragserweiterung nach § 263 ZPO (im Anschluss an BGH, Beschl. v. 19.11.2014 – XII ZB 478/13, NJW 2015, 334).
2. Auch wenn nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, Beschl. v. 13.11.2019 – XII ZB 3/19, NJW 2020, 238 = FamRZ 2020, 171) ein Erwerbstätigkeitsbonus von 10 % vorzugswürdig sein mag, folgt daraus nicht, dass die Anrechnung eines Erwerbstätigkeitsbonus in Höhe von 1/7 bei Selbstständigen unzulässig wäre (vgl. auch Punkt 15.2. der Unterhaltsleitlinien des Oberlandesgerichts Köln).
3. Ist die unterhaltsberechtigte Ehefrau mit einer Vollzeitstelle wieder in ihrem erlernten Beruf als Physiotherapeutin tätig und gibt es in diesem Fachgebiet mangels hierarchischen Aufbaus innerhalb einer Physiotherapiepraxis keine klassischen Aufstiegschancen durch Fort- oder Weiterbildungen, so ist mangels konkreten Vortrags zu den finanziellen Nachteilen nichts dafür ersichtlich, dass sie ohne die Betreuung der Kinder und die Haushaltsführung ein höheres Einkommen hätte erzielen können, als sie gegenwärtig erhält.
4. Auch der allgemeine Hinweis der Ehefrau darauf, sie hätte sich ohne die Betreuung der Kinder und die Haushaltsführung selbstständig machen oder heute in einer großen Klinik in führender Position arbeiten können, reicht nicht. Es bedarf vielmehr der Darlegung konkreter beruflicher Entwicklungsmöglichkeiten und bei behauptetem beruflichem Aufstieg zudem der Darlegung der entsprechenden Bereitschaft und Eignung, die vom Gericht auf ihre Plausibilität überprüft werden können und der Widerlegung durch den Ehepartner zugänglich sind.
5. Ein unbegrenzter und unbefristeter Unterhaltsanspruch kommt auch bei einer Ehedauer von 23 Jahren und sieben Monaten und der Pflege und Erziehung dreier gemeinsamer Kinder unter dem Gesichtspunkt der nachehelichen Solidarität nicht stets in Betracht. Vielmehr ist im Rahmen einer umfassenden Billigkeitsprüfung den konkreten Umständen des Einzelfalls Rechnung zu tragen. Unter Berücksichtigung der Ehedauer, der Pflege und Erziehung dreier Kinder, der Betreuung der eigenen Mutter während der Ehe und der finanziellen Verhältnisse der Eheleute sowie des vom Ehemann bisher gezahlten Trennungsunterhalts ist es angemessen, den Unterhalt bis zum Ende des Jahres 2024 vollumfänglich zu gewähren, dann in zwei Stufen von jeweils eineinhalb Jahren abzuschmelzen und schließlich zeitlich zum 31.12.2027 auslaufen zu lassen.
6. Bei der Kostenentscheidung ist nach § 243 FamFG ist der streitigen Begrenzung und Befristung des Unterhaltsanspruchs Rechnung zu tragen.
(red. Leitsätze)
OLG Köln, Teilanerkenntnis- und Endbeschluss v. 16.3.2021 – 14 UF 196/19 (AG Kerpen)
Aus den Gründen
Gründe: I. [1] Bei den Beteiligten handelt es sich um mit Beschl. v. 4.11.2019 geschiedene Ehegatten. Sie hatten am 12.9.1994 geheiratet und leben seit dem 1.4.2017 getrennt. Die Rechtskraft der Ehescheidung ist am 21.4.2020 eingetreten. Aus der Ehe sind drei Kinder hervorgegangen (V, geboren am 31.5.1995, A, geboren am 6.6.1997 und J., geboren am 22.3.2002).
[2] Während der Ehe hat die Antragsgegnerin, eine gelernte Physiotherapeutin, den Haushalt geführt und die Kinder betreut. 2011 begann sie das erste Mal wieder halbtags als Physiotherapeutin zu arbeiten, gab die Tätigkeit jedoch Mitte 2015 wieder auf, um ihre pflegebedürftige Mutter zu versorgen. 2018 hat sie ihre Berufstätigkeit als Physiotherapeutin im Rahmen einer Vollzeittätigkeit mit einem monatlichen Bruttoeinkommen von 2.081,00 EUR wieder aufgenommen. Von Anfang Mai 2020 bis zum 15.6.2020 war sie arbeitslos; sie hat für diesen Zeitraum insgesamt 1.312,08 EUR Arbeitslosengeld erhalten. Vom 16.6. bis 31.8.2020 arbeitete sie halbtags bei einem monatlichen Nettoverdienst von netto 913,69 EUR (brutto 1.137,50 EUR), seit September 2020 vollschichtig mit einem monatlichen Nettoeinkommen von unstreitig 2.264,11 EUR (brutto: 3.000,16 EUR). Berufsbedingte Auswendungen in Höhe von 88,00 EUR, eine anrechenbare private Altersvorsoge in Höhe von 120,00 EUR und einkommensabhängige Unterhaltspflichten gegenüber den beiden Töchtern sind ebenfalls unstreitig. Die Antragsgegnerin wohnte bis Oktober 2020 mit der jüngsten Tochter J. in dem ehemals gemeinsam bewohnten Haus, welches im Eigentum des Antragstellers steht und für welches er die kompletten Lasten und Kosten in Höhe von monatlich unstreitig 289,24 EUR trug. Den Wohnvorteil setzten die Beteiligten einvernehmlich mit monatlich 1.350,00 EUR an. Die Tochter J. zog im Oktober, die Antragsgegnerin Anfang Dezember 2020 aus der Immobilie aus. J. hat mit Beginn des Wintersemesters ein Studium aufgenommen; A. absolviert bis Juli 2022 eine Ausbildung und erhält eine Ausbildungsvergütung in Höhe von monatlich 339,36 EUR.
[3] Der Antragsteller ist selbstständiger Architekt und führt gemeinsam mit ...