Gabriele Ey
Das Bundesverfassungsgericht hat erneut die Bedeutung der Kindesanhörung in einem Kinderschutzverfahren mit Fremdunterbringung eines Jugendlichen hervorgehoben. Auch wenn die nur telefonische Anhörung des Jugendlichen durch das Familiengericht wegen im Übrigen hinreichenden Entscheidungsgrundlagen nicht zu einem Verfassungsverstoß geführt hat, auf den sich die Kindesmutter berufen konnte, hat das Gericht hervorgehoben, dass nur die persönliche, also visuell-auditive Anhörung der Vorschrift des § 159 FamFG entspricht und deshalb das OLG schon unter Geltung der alten Fassung des § 68 FamFG die fehlerhafte Kindesanhörung wohl habe nachholen müssen (BVerfG, Beschl. v. 7.2.2022 – 1 BvR 1655/21, in diesem Heft, S. 310).
Auf die Skandalfälle von schwerem sexuellem Missbrauch der letzten Jahren hat der Gesetzgeber durch das Gesetz zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder vom 16.6.2021 (BGBl I S. 1810) reagiert und mit der Neufassung von § 159 FamFG auch der Bedeutung der Kindesanhörung Rechnung getragen (Ey, FF 2021,227; Lies-Benachib, FF 2021, 430). Mit Wirkung zum 1.7.2021 besteht in Kindschaftssachen eine grundsätzliche und altersunabhängige Pflicht zur persönlichen Anhörung des Kindes, von der in Kinderschutzverfahren nach §§ 1666, 1666a BGB nur aus schwerwiegenden Gründen abgesehen werden kann. Diese Regelung dient nicht nur der Amtsermittlung, sondern ist der Subjektstellung des Kindes in diesen grundrechtsrelevanten Verfahren geschuldet. In zweiter Instanz ist die erneute Anhörung des Kindes nunmehr in Kinderschutzverfahren, beim Umgangsausschluss und in Fällen einer Verbleibensanordnung zwingend erforderlich. Mit der Regelung des § 68 Abs. 5 FamFG hat der Gesetzgeber auf einen zum Teil exzessiven Umgang einzelner Senate mit der Möglichkeit des Absehens von einzelnen für das erstinstanzliche Verfahren geltenden Vorschriften reagiert und dabei eine Belastung der Ressourcen der Justiz, aber auch eine mögliche Verzögerung des Beschwerdeverfahrens in Kauf genommen, die geeignet ist, dem Grundsicherheitsbedürfnis des Kindes nach Klarheit entgegenzustehen, für das Kind belastend sein und so die Subjektstellung des Kindes wiederum in Zweifel ziehen kann (kritisch Lies-Benachib, a.a.O.).
Um den Schutz der Kinder zu gewährleisten, gehören zu den in § 23b Abs. 3 S. 2 GVG mit Wirkung ab dem 1.1.2022 erforderlichen fachspezifischen Qualitätsanforderungen für Familienrichterinnen und -richter auch belegbare Grundkenntnisse der Psychologie, insbesondere der Entwicklungspsychologie des Kindes, sowie der Kommunikation mit Kindern. Verfahrensbeistände müssen Kenntnisse der Entwicklungspsychologie des Kindes nachweisen und über kindgerechte Gesprächstechniken verfügen.
Die FF hat auf die Bedeutung der Kindesanhörung und die fachspezifische Ausbildung von Familienrichterinnen und -richtern vielfach hingewiesen (vgl. nur Schnitzler, FF 2013, 424, 2014, 133, 2018, 416; 2019, 383; Fegert/Kliemann, FF 2018, 223; Gräfin von Schwerin, FF 2019, 178; Ernst, FF 2020, 11; Götz, FF 2020, 267). Sie wird sich dem Thema in Heft 9 mit einem Beitrag von weiterer aufsichtführender Richterin Ulrike Sachenbacher, München, die auch Kompetenzpartnerin Kinderschutz des OLG-Bezirks München ist, wiederum widmen. Der 18. Göttinger Workshop zum Familienrecht (Zimmermann, FF 2022, 6) hat den hohen Bedarf an Wirksamkeitsstudien betont. Deshalb sei auch an dieser Stelle auf die diesjährige Mitgliederbefragung der AG Familienrecht im DAV hingewiesen, mit der der Geschäftsführende Ausschuss Informationen erheben möchte, wie in der jeweiligen Praxis der Familiengerichte und Oberlandesgerichte sowie der Jugendämter die Kindesanhörung durchgeführt wird.
Es wäre ein wichtiger Beitrag zur Gewinnung der erforderlichen Tatsachengrundlagen und ggfs. zur Evaluierung der Neuregelungen, wenn Sie sich ein paar Minuten Zeit für die Beantwortung dieses Fragebogens nehmen könnten.
Autor: Gabriele Ey
Gabriele Ey, Vorsitzende Richterin am OLG a.D., Bonn
FF, S. 265