1. Güteverhandlung und mündliche Verhandlung
Eine bislang umstrittene Frage hat der Gesetzgeber zum 1.1.2022 geklärt: § 128a ZPO gilt nicht nur für die mündliche Verhandlung im eigentlichen Sinne, sondern aufgrund der in § 278 Abs. 2 S. 4 ZPO neu eingefügten Verweisung auf § 128a ZPO auch für die Güteverhandlung. Das wurde auch – zu Recht – für die bisherige Fassung der Norm vertreten, war aber umstritten. In Ehesachen i.S.v. § 111 Nr. 1 FamFG und Familienstreitsachen i.S.v. § 112 FamFG ist § 128a ZPO aufgrund der Verweisung in § 113 Abs. 1 FamFG stets anwendbar, so dass das Gericht in diesen Verfahren grundsätzlich per Videokonferenz verhandeln kann. Wenn sich ein Teilnehmer der Verhandlung im Ausland aufhält, ist allerdings § 363 ZPO zu beachten, so dass eine Videoverhandlung dann nur nach den Regeln des Völkerrechts, insbesondere der EG-BeweisVO, in Betracht kommen wird. Zum Teil wird hier eine großzügigere Sichtweise vertreten, wovor allerdings gewarnt werden muss. Das Völkerrecht steht nicht zur Disposition der Verfahrensbeteiligten oder des Gerichts, und ebenso wenig, wie deutsche Behörden es gutheißen könnten, wenn Gerichte aus Staaten mit gänzlich anderen Werte- und Rechtsvorstellungen von ihrem Territorium aus Gerichtsverfahren unter Zuschaltung sich in Deutschland aufhaltender Personen durchführten, kann im umgekehrten Fall die Duldung einer entsprechenden Praxis deutscher Gerichte erwartet werden.
2. Persönliche Anhörung
Von zentraler Bedeutung für den möglichen Einsatz von Videokonferenzen im familiengerichtlichen Verfahren ist die umstrittene Frage, ob auf diesem Wege eine "persönliche Anhörung" erfolgen kann. Verneint man das, kann das Gericht so weder die Anhörung zu den Scheidungsvoraussetzungen in Ehesachen durchführen noch diesen Weg der Kommunikation in denjenigen Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit einsetzen, die eine persönliche Anhörung erfordern (z.B. Kindschaftssachen, Gewaltschutzsachen etc.). § 34 FamFG setzt die persönliche Anhörung begrifflich voraus, ohne sie zu definieren oder Hinweise auf mögliche Voraussetzungen zu geben; abgegrenzt wird sie in erster Linie von der schriftlichen Anhörung, und auch eine telefonische Anhörung wird zu Recht nicht als "persönlich" angesehen.
Nach hier vertretener Ansicht kann eine persönliche Anhörung auch nach derzeitiger Rechtslage im Wege der Bild- und Tonübertragung stattfinden, wenn sie nach den Umständen des Einzelfalls geeignet ist, dem Gericht einen für die jeweilige Entscheidung ausreichenden Eindruck zu verschaffen. Zutreffend geht deshalb auch das OLG Celle in einer aktuellen Entscheidung selbstverständlich davon aus, dass eine persönliche Anhörung auf diesem Wege möglich ist. Für Ehesachen ist dem AG Darmstadt darin zuzustimmen, dass die Anhörung der Ehegatten zur Scheidung in der Regel per Videokonferenz erfolgen können wird, zumal gegenüber dem der Entscheidung zugrunde liegenden Stand der Technik gerade in den letzten Jahren ein erheblicher Fortschritt zu verzeichnen ist. Selbstverständlich sind – gerade bei streitigen Scheidungen – auch insoweit Ausnahmen denkbar.
Der Streit über die Auslegung des Merkmals "persönliche Anhörung" wird sich durch die geplante Gesetzesänderung zum Teil erübrigen. Der aktuelle Regierungsentwurf enthält in § 34 Abs. 4 S. 1 FamFG-E folgende geplante Regelung: "Im Anwendungsbereich des Absatzes 1 Nummer 1 kann das Gericht in geeigneten Fällen die persönliche Anhörung eines Beteiligten per Bild- und Tonübertragung in entsprechender Anwendung des § 128a der Zivilprozessordnung gestatten oder anordnen." Diese Änderung ist grundsätzlich zu begrüßen, wobei allerdings unverständlich ist, weshalb die persönliche Anhörung per Bild- und Tonübertragung auf die Fälle des § 34 Abs. 1 Nr. 1 FamFG (Ermessensentscheidung bei persönlicher Anhörung zur Wahrung rechtlichen Gehörs) beschränkt bleiben und nicht auch in Fällen des § 34 Abs. 1 Nr. 2 FamFG gestatten sein soll, also bei der gesetzlich vorgeschriebenen persönlichen Anhörung. Die Einschränkung "in geeigneten Fällen" reicht völlig aus, um den Anwendungsbereich der Norm im notwendigen Maß zu beschränken, so dass durch Streichung der Formulierung "Nummer 1" in § 34 Abs. 4 S. 1 FamFG-E eine sachgerechtere Regelung erreichbar wäre.