BVerfG, Nichtannahmebeschl. der 3. Kammer des Ersten Senats v. 16.2.2023 – 1 BvR 2663/21
1. Der vorläufige Entzug des Sorgerechts und die Anordnung von Vormundschaft ist gerechtfertigt, wenn in der Gesamtschau Anhaltspunkte für eine deutlich eingeschränkte Erziehungsfähigkeit der alleinsorgeberechtigten Kindesmutter, die seit Längerem den Umgang verweigert und sich weiterer fachgerichtlicher Aufklärung entzogen hat, sowie für ein Vorenthalten altersadäquater sozialer Kontakte der Tochter vorliegen, zumal wenn der Aufenthalt von Mutter und Kind unbekannt ist, mithin die aktuelle Lebenssituation des Kindes völlig ungesichert erscheint.
2. Im fortzuführenden Hauptsacheverfahren zum Sorgerecht sind von Amts wegen nähere Feststellungen zu einer Gefährdung des Kindeswohls zu treffen. Dabei wird auch zu klären sein, wo und unter welchen Umständen Mutter und Tochter leben. Das zum Vormund bestellte Jugendamt hat das ihm nach § 1795 Abs. 1 S. 1 BGB zustehende Recht zur Bestimmung des Aufenthalts der Tochter auch gemäß § 1789 Abs. 1 S. 1 BGB wahrzunehmen und auszuüben und das Familiengericht hat hierüber nach § 1802 Abs. 2 BGB Aufsicht zu führen.
(red. LS)
OLG Frankfurt, Beschl. v. 13.7.2022 – 4 UF 207/21
1. Ein mit einer Herausnahme des betroffenen Kindes aus dem elterlichen Haushalt verbundener Entzug der elterlichen Sorge ist jedenfalls dann nicht mehr verhältnismäßig i.S.d. §§ 1666, 1666a BGB, wenn der bei den Eltern aufgrund familiär bedingter emotionaler Einschränkungen drohenden latenten Kindeswohlgefährdung auch in einer Einrichtung der Jugendhilfe nicht wirksam begegnet werden kann.
2. Die Anweisung muslimischer Eltern an ihre zwölfjährige Tochter, ein Kopftuch zu tragen, rechtfertigt allein – ohne Hinzutreten darüber hinausgehender, dem Kindeswohl abträglicher Umstände – noch nicht die Annahme einer Kindeswohlgefährdung.
3. Kommt es zwischen Kind und Eltern zu primär entwicklungsbedingten Auseinandersetzungen, denen sich das Kind durch maladaptive Strategien (Vermeidung und Rückzug) mit der Folge emotionaler Vereinsamung entziehen will, kann zur Vermeidung einer damit u.U. einhergehenden Beeinträchtigung des Kindeswohls die Einrichtung einer Erziehungsbeistandschaft geboten sein.
OLG Karlsruhe, Beschl. v. 17.4.2023 – 5 WF 29/23
Eine Umgangsregelung "… von Freitag nach der Schule …" ist jedenfalls für die Tage nicht vollstreckbar, an denen keine Schule stattfindet.
OLG Köln, Beschl. v. 16.9.2022 – 2 Wx 171/22
1. Bei einer gemeinsamen Sorge für ein minderjähriges Kind tritt ein Vertretungsausschluss gem. §§ 1629 Abs. 2 S. 1, 1795 BGB nur bei dem Elternteil ein, in dessen Person die Voraussetzungen des § 1795 BGB unmittelbar vorliegen.
2. Liegen die Voraussetzungen für einen Vertretungsausschluss nur bei einem Elternteil vor, bleibt der andere Elternteil zur Vertretung des minderjährigen Kindes befugt und die Bestellung eines Ergänzungspflegers ist nicht erforderlich. (Anschluss BGH, Beschl. v. 24.3.2021 – XII ZB 364/19).