Vermögensrechtliche Abzüge vom unterhaltsrechtlichen Einkommen in der aktuellen Rechtsprechung

I. Einleitung

Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und der Oberlandesgerichte wurde in der Vergangenheit, insbesondere nach dem 1.1.2008, dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes zur Änderung des Unterhaltsrechts vom 21.12.2007 (BGBl I, S. 3189), dominiert von den "großen Problemen" des Betreuungs- und vor Allem des Ehegattenunterhalts. Eine kaum zu überschauende Anzahl von Entscheidungen befasste sich mit den tatbestandlichen Voraussetzungen des Betreuungsunterhalts nach § 1570 BGB und § 1615l BGB, der Befristung und Begrenzung des nachehelichen Unterhalts nach § 1578b BGB, insbesondere mit der Bedeutung von ehebedingtem Nachteil und Dauer der Ehe. Diese Themen sind seit einiger Zeit in den Hintergrund getreten. Die ohnehin spärliche Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Unterhaltsrecht und diejenige der Oberlandesgerichte befasst sich heute in weiten Teilen mit der für alle Unterhaltstatbestände bedeutsamen Berechnung des unterhaltsrechtlichen Einkommens. Insbesondere der Bundesgerichtshof hat zu Abzugspositionen, die der Vermögensbildung dienen, neue bemerkenswerte Akzente gesetzt.

II. Tilgungsraten und Wohnvorteil

Der Vorteil des mietfreien Wohnens in einer eigenen Immobilie ist anerkannter Bestandteil des unterhaltsrechtlichen Einkommens. Er ist allerdings nicht uneingeschränkt für Zwecke des Unterhalts zu verwenden, sondern zu kürzen um die auf den Mieter nicht umlegbaren Nebenkosten sowie die im Rahmen der regelmäßig notwendigen Finanzierung anfallenden Zinslasten. Während die Berücksichtigungsfähigkeit der Zinsaufwendungen nicht zweifelhaft war,[1] hat sich die Rechtsprechung mit den in den meisten Fällen ebenfalls zu leistenden Tilgungen schwergetan. Durch diese wird Vermögen gebildet und Schulden, die einseitig der Vermögensbildung dienen, beeinflussen das unterhaltsrechtlich relevante Einkommen nicht. Denn der Unterhalt dient der Befriedigung des allgemeinen Lebensbedarfs. Die Bildung von Vermögen – gleich auf wessen Seiten – gehört nicht zu den Zwecken des Unterhalts.[2] Diese Sätze waren ein Dogma des Unterhaltsrechts. In ihrer Anwendung hat der Bundesgerichtshof Tilgungsleistungen auf Immobilienkredite nur dann als wohnwertermäßigend anerkannt, wenn der andere Ehegatte von ihnen profitierte. Das war der Fall, wenn die Immobilie im Miteigentum beider Eheleute stand oder diese im Güterstand der Zugewinngemeinschaft lebten und der Scheidungsantrag noch nicht zugestellt war. In den anderen Fällen – Gütertrennung, Unterhalt für die Zeit nach Zustellung des Scheidungsantrags – wurde die Tilgung als einseitige Vermögensbildung zu Lasten des anderen Ehegatten und damit als unbeachtlich angesehen.[3] Der tilgende Eigentümer konnte die geleisteten Raten als zusätzliche Altersvorsorge einsetzen (s.u.IV) oder hatte sie aus den ihm verbleibenden Mitteln zu tragen.

Diese den Ehegattenunterhalt betreffende Rechtsprechung konnte naturgemäß auf den Verwandtenunterhalt nicht übertragen werden. Im Rahmen des Elternunterhalts hat der Bundesgerichtshof eine Berücksichtigungsfähigkeit der Tilgungsraten grundsätzlich für möglich gehalten, wenn sich die Annuität in angemessenem Verhältnis zu den Einkünften verhielt und die Verbindlichkeit zu einem Zeitpunkt eingegangen wurde, als mit der Unterhaltsbelastung nicht zu rechnen war.[4] Auf den Kindesunterhalt sollten diese Überlegungen teilweise angewendet werden,[5] teilweise wurde die Anerkennung von Tilgungszahlungen grundsätzlich abgelehnt.[6]

Von dieser restriktiven Rechtsprechung ist der Bundesgerichtshof in den vergangenen Jahren nach und nach abgekehrt. Vorreiter war der Elternunterhalt. Erstmals für diesen hat er den Abzug von Tilgungsraten vom Wohnvorteil ermöglicht, und zwar bis zur Höhe des positiven Wohnwerts.[7] Begründet hat er dies mit der schwachen Ausprägung des Elternunterhalts und der aus ihr hergeleiteten fehlenden Verpflichtung zur Verwertung der Immobilie.[8] Darüber hinaus hat er die Tilgungsleistungen nicht als Vermögensbildung "zu Lasten" des Berechtigten angesehen, da ihr ein einkommenserhöhender und damit dem Berechtigten zugutekommender Wohnvorteil gegenüber stehe. Ohne Zins- und eben auch Tilgungsleistungen gäbe es einen Wohnvorteil in Form einer ersparten Miete nicht.[9] Dieser prägnante Satz "ohne Tilgung kein Wohnvorteil" findet bereits seiner Natur nach auf sämtliche Unterhaltsrechtsverhältnisse Anwendung, so dass es wenig überrascht, dass der Bundesgerichtshof in der Folgezeit die Anerkennung von Tilgungsraten bis zur Höhe des positiven Wohnwerts beim Ehegattenunterhalt zunächst angedeutet,[10] dann auch ausdrücklich ausgesprochen hat, und zwar ohne dies gesondert zu begründen.[11]

Beim Kindesunterhalt gilt der Satz "ohne Tilgung kein Wohnvorteil" als Faktum auch. Gleichwohl wurde in der obergerichtlichen Judikatur zunächst die Frage diskutiert, ob Tilgungsleistungen Berücksichtigung finden könnten, wenn ihretwegen der Mindestkindesunterhalt nicht gewahrt werden kann.[12] Diese wur...

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