1. Angemessener Selbstbehalt nach Inkrafttreten des Angehörigen-Entlastungsgesetzes
Das Angehörigen-Entlastungsgesetz vom 10.12.2019 hat – ohne Änderungen der Vorschriften zum Verwandtenunterhalt – den Übergang des Anspruchs auf Elternunterhalt nach den §§ 1601 ff. BGB auf den Träger der Sozialhilfe und damit den Unterhaltsregress neu geregelt. Er findet nunmehr nur noch dann statt, wenn das Einkommen des nach § 1601 BGB unterhaltspflichtigen Kindes die Jahresobergrenze von 100.000 EUR brutto übersteigt, § 91 Abs. 1a SGB XII i.V.m. § 16 SGB IV. Nach dem Willen des Gesetzgebers sollen nur noch leistungsstarke Kinder zur Finanzierung des Elternunterhalts in Anspruch genommen werden.
In der Rechtsprechung ist bislang nicht geklärt, wo für dem Unterhaltsregress unterworfene Kinder die Grenze der Inanspruchnahme aus unterhaltsrechtlicher Sicht zu ziehen ist. Zur Bemessung des unterhaltsrechtlich maßgeblichen Selbstbehalts verhalten sich die obergerichtlichen Leitlinien nicht einheitlich. So geben die Süddeutschen Leitlinien unter Ziffer 21.3.3 nur noch folgendes vor: Bei der Bemessung des Selbstbehalts gegenüber Eltern sind Zweck und Rechtsgedanken des Gesetzes zur Entlastung unterhaltspflichtiger Angehöriger in der Sozialhilfe und in der Eingliederungshilfe (Angehörigen-Entlastungsgesetz) vom 10.12.2019 zu beachten.
Nunmehr hat das OLG München Stellung genommen:
Unter Berücksichtigung des Zwecks und Rechtsgedankens des Angehörigen-Entlastungsgesetzes erscheint es angemessen, den im Rahmen der nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts vorzunehmenden Unterhaltsberechnung zu berücksichtigenden Selbstbehalt des Unterhaltspflichtigen auf einen Betrag zu erhöhen, der dem mit einem Gesamtbruttoeinkommen von 100.000 EUR erzielbaren durchschnittlichen monatlichen Nettoeinkommen entspricht, was je nach Familienstand und Beschäftigungsart zwischen 5.000 EUR und 5.500 EUR liegen dürfte.
Angesichts der Höhe des pauschalen Selbstbehalts von 5.500 EUR monatlich ist eine Erhöhung um die Hälfte des den Sockel-Selbstbehalt übersteigenden anrechenbaren Einkommens entsprechend dem vom BGH (FamRZ 2002, 1698) entwickelten Modell nicht mehr angebracht. Auch ist fraglich, ob über die gesetzlichen Abzüge und Verpflichtungen für Steuern, Sozialabgaben und gesetzliche Unterhaltsansprüche hinaus weitere Abzugsposten zu akzeptieren sind, oder ob dem Unterhaltspflichtigen angesichts des großzügigen Selbstbehalts zugemutet werden kann, seinen Lebenszuschnitt auf das Niveau dieses Selbstbehalts einzustellen. Es erscheint angemessen, die Verwendung des Eigenbedarfs keiner weiteren Kontrolle zu unterwerfen und auch keine Kreditraten, Wohnvorteile oder Mietbelastungen sowie Aufwendungen für Besuchsfahrten etc. anzuerkennen. Allerdings ist eine zusätzliche Altersvorsorge in Form von Lebensversicherungen wohl zu berücksichtigen.
Eine Entscheidung dazu wird durch den BGH in dem Verfahren XII ZB 148/24 ergehen.
Diese Problemlage hat auch das OLG Düsseldorf in dem Fall eines verheirateten Kindes behandelt, das auch zu einer pauschalierten Betrachtungsweise des angemessenen Selbstbehalts neigt, ohne dies nach Lage des Falles entscheiden zu müssen.
2. Verwirkung des Anspruchs auf rückständigen Elternunterhalt
Immer wieder kommt es vor, dass Unterhaltsberechtigte zögerlich mit der Realisierung ihres Unterhaltsanspruchs umgehen und damit das Risiko eingehen, dem Einwand der Verwirkung von Unterhalt für vergangene Zeiträume ausgesetzt zu sein. Die Einwendung steht zwar zur Darlegungs- und Beweislast des Unterhaltspflichtigen, doch ist das Verfahren stets mit zusätzlichem Aufwand und einer vermeidbaren Verzögerung verbunden.
Indes hat die Rechtsprechung an den Erfolg der Einwendung hohe Anforderungen gestellt.
Eine Verwirkung des Anspruchs auf rückständigen Elternunterhalt kommt nach allgemeinen Grundsätzen gem. § 242 BGB in Betracht, wenn der Berechtigte den Anspruch längere Zeit nicht geltend gemacht hat (Zeitmoment), obwohl er dazu in der Lage wäre, und der Verpflichtete sich mit Rücksicht auf das gesamte Verhalten des Berechtigten darauf einrichten durfte und eingerichtet hat, dass dieser sein Recht auch in Zukunft nicht geltend machen werde (Umstandsmoment).
Zum reinen Zeitablauf müssen besondere, auf dem Verhalten des Berechtigten beruhende Umstände hinzutreten, die das Vertrauen des Verpflichteten rechtfertigen, der Berechtigte werde seinen Anspruch nicht mehr geltend machen, insbesondere weil er seinen Rechtsstandpunkt aufgegeben habe. Der reine Zeitablauf ist daher nicht ausreichend.