BVerfG, Beschl. v. 23.4.2024 – 1 BvR 1595/23
1. Eine gerichtliche Rückführungsanordnung in die Ukraine stellt regelmäßig einen Verstoß gegen das Elterngrundrechts aus Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG dar, wenn die Auslegung und Anwendung der maßgeblichen Regelungen des Haager Übereinkommens mit dem Wohl des betroffenen Kindes nicht vereinbar sind.
2. Bei der Frage, ob die Voraussetzungen des Versagungsgrundes aus Art. 13 Abs. 1 lit. b) HKÜ erfüllt sind, haben die Gerichte die aus Art. 8 EMRK folgenden Anforderungen an Art und Umfang der Begründung gerichtlicher Entscheidungen zu beachten. Die Begründung muss erkennen lassen, dass die in Art. 8 EMRK vorausgesetzten Garantien gewährleistet worden und das Kindeswohl berücksichtigt worden sind (vgl. EGMR, Urt. v. 15.6.2021 – 17665/17, Rn 96 ff.).
3. Im Falle der Rückführung eines Kindes in die Ukraine bedarf es einer konkreten Begründung für die Verneinung einer schwerwiegenden Gefahr eines körperlichen oder seelischen Schadens für das Kind. Um dem Kindeswohl bei der konkreten Anwendung des Versagungsgrundes Rechnung zu tragen, hat sich das Gericht sowohl mit der bisherigen Rechtsprechung zu der auf die Kriegssituation in der Ukraine bezogenen Handhabung des Versagungsgrundes als auch mit den konkreten, auf das Wohl des Kindes bezogenen Einschätzungen der im Ausgangsverfahren fachlich Beteiligten auseinanderzusetzen.
4. Soweit das Oberlandesgericht darauf abstellt, nach der Auskunft der für den Wohnort des Vaters örtlich zuständigen Militärverwaltung sei dieser Landesteil nicht von Kampfhandlungen betroffen, weshalb nicht die gesamte Ukraine Kriegsgebiet sei, wird dies dem Elterngrundrecht der Mutter nicht ohne Weiteres gerecht. Die Auffassung des Gerichts steht in Widerspruch zu dem Beschluss des Thüringer Oberlandesgerichts vom 4.4.2023 (1 UF 54/23) und des Oberlandesgericht Stuttgart (Beschl. v. 13.10.2022 – 17 UF 186/22) und würde im Ergebnis bewirken, dass die Mutter, schon um selbst dem Kindeswohl gerecht zu werden, die Rückführung faktisch in den Landesteil der Ukraine zu bewirken hätte, den das Oberlandesgericht als nicht kriegsbetroffen eingeordnet hat, während das HKÜ im rechtlichen Ausgangspunkt einer auf den Rückführungsstaat als solchen gerichteten Rückführungspflicht normiert.
5. Lehnt das Kind eindeutig unter Hinweis auf das dortige Kriegsgeschehen und die zahlreichen Zerstörungen eine Rückkehr in die Ukraine ab, so muss sich das Gericht im Einzelnen damit auseinandersetzen, welche spezifischen Gefährdungen dem Kind bei der Rückführung in einen Staat, in dem Krieg herrscht, drohen. Hierzu reicht eine eher oberflächliche Befassung mit der Kriegssituation in der Ukraine und der Art der Kampfführung durch die Streitkräfte der russischen Föderation nicht aus.
(red. LS)
BGH, Beschl. v. 27.3.2024 – XII ZB 291/23
a) Wird gegen die erstinstanzliche Entscheidung zur Vollstreckbarerklärung eines ausländischen Unterhaltstitels Beschwerde eingelegt, ist das Beschwerdegericht nicht daran gehindert, die Vollstreckbarkeit der Entscheidung im Ursprungsstaat im Einzelfall auch ohne Beibringung des von Art. 17 Abs. 1 Nr. 2 HUVÜ 1973 und Art. 25 Abs. 1 lit. b HUÜ 2007 geforderten formalen Nachweises festzustellen (im Anschluss an Senatsbeschl. v. 24.8.2022 – XII ZB 268/19, FamRZ 2022, 1719).
b) Im Anwendungsbereich des HUÜ 2007 kann der Titelschuldner mit der Beschwerde gegen die Vollstreckbarerklärung eines ausländischen Kindesunterhaltstitels nicht nach § 59a AUG geltend machen, dass der antragstellende Elternteil, der den Titel erwirkt hat, nach Eintritt der Volljährigkeit des Kindes (auch hinsichtlich der Unterhaltsrückstände aus der Zeit der Minderjährigkeit) nicht mehr zur Vollstreckung der titulierten Kindesunterhaltsansprüche befugt ist.
OLG Nürnberg, Beschl. v. 7.3.2024 – 7 UF 3/24
Der gewöhnliche Aufenthalt eines Kindes nach dem Haager Übereinkommens über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung (HKÜ) wechselt nicht zwischen zwei Vertragsstaaten hin und her, wenn ein Elternteil dem anderen in einem anderen Vertragsstaat großzügig Umgang gewährt und das Kind während dieser Umgangszeiten sozial, familiär und sprachlich gut integriert ist. Bei einem vorübergehend alternierenden Aufenthalt verbleibt der gewöhnliche Aufenthalt dort, wo er sich bei Beginn des Alternierens befand, es sei denn, dass im Ausnahmefall besondere Gründe dafürsprechen, dem Aufenthalt trotz seiner nur vorübergehenden Anlage den Charakter eines gewöhnlichen Aufenthalts zuzusprechen.
KG, Beschl. v. 14.5.2024 – 1 VA 13/24
Die Anerkennung einer in Israel mittels Übergabe des Scheidebriefs durch den Ehemann und dessen Annahme durch die Ehefrau erfolgten Ehescheidung scheidet aus, wenn wegen der – auch – deutschen Staatsangehörigkeit eines Ehegatten das deutsche Scheidungsstatut anzuwenden ist. Daran ändert es nichts, wenn die Ehescheidung einverständlich unter Beteiligung des Rabbinatsgerichts erfolgt ist.
Autor: Gabriele Ey, Vorsitzende Richterin am OLG a.D., Bonn
FF, S. 332 - 336