Dr. Fritz R. Osthold

Kommen sie und wenn ja, wie viele?

Mit gleich vier Eckpunktepapieren nebst FAQ setzte die aktuelle Regierungskoalition im Familienrecht im August 2023 (Kindesunterhalt), im Januar 2024 (Abstammungs- und Kindschaftsrecht) und Februar 2024 (Verantwortungsgemeinschaft) zum großen Sprung an, um den "im Familienrecht seit langer Zeit bestehenden großen Reformstau" zu lösen und das "Familienrecht auf die Höhe der Zeit" zu bringen (so Justizminister Dr. Marco Buschmann im Interview mit der WELT am 22.1.2024). Doch die Legislaturperiode neigt sich zunehmend dem Ende entgegen, die nächste Bundestagswahl im Spätsommer/Herbst 2025 rückt näher und damit auch der Wahlkampf. Zwar entfaltet der Gesetzgeber erfahrungsgemäß gegen Ende einer Legislaturperiode noch größere Aktivitäten, jedoch liegen noch immer keine Referentenentwürfe vor und ein gutes Gesetzgebungsverfahren braucht Zeit, gerade wenn es um gesellschaftspolitisch kontroverse Themen wie im Familienrecht geht. Wie sich ein suboptimaler Gesetzgebungsprozess gestaltet, zeigte der Gesetzgeber zuletzt bei den Referentenentwürfen zum Gesetz zum Schutz Minderjähriger bei Auslandsehen und zum Gesetz zur Stärkung der Strukturen gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen. Verbände haben kaum mehr als eine 14 Tage-Stellungnahmefrist, obwohl die Entwürfe inhaltlich diskussionsbedürftig bis fragwürdig erscheinen.

So wachsen Befürchtungen, dass es entweder zu keinen Reformen mehr kommt oder diese im Eiltempo und womöglich auf einen Schlag kurz vor Ende der Legislatur noch durch das Gesetzgebungsverfahren getrieben werden. Die Diskussion von Referentenentwürfen kann und sollte allerdings nicht durch eine solche zu bloßen Eckpunkten, FAQ und Beispielen ersetzt werden. Inhaltlich sollten die Reformkonzepte zudem mehr vom Regel- als vom Ausnahmefall her konzipiert werden.

Eine gewisse Unklarheit kommt aber auch aus der Rechtsprechung. Gemeint ist die neue Rechtsprechung des BGH im praxisrelevanten Unterhaltsrecht zu dem vom hauptbetreuenden Elternteil geleisteten "Restbarunterhalt" (BGH FamRZ 2022, 1366). Während eine Fraktion dieser Rechtsprechung ablehnend gegenübersteht (vgl. etwa Schürmann, FF 2022, 363; Seiler/Götz, FamRZ 2022, 1338; Duderstadt, FamRZ 2022, 1755; Bruske, FamRZ 2023, 339), wird sie von anderer Seite aus begrüßt (Gutdeutsch, FamRZ 2022, 1757; Borth, FamRZ 2022, 1758; Lies-Benachib, FamRZ 2023, 9). Während die Komplexität der Berechnungen beim "Massenphänomen Unterhalt" (BGH FamRZ 2018, 260) insbesondere bei größeren Rückstandsberechnungen nunmehr kaum noch ohne Softwareunterstützung in vertretbarem Umfang zu bewältigen ist, zeigen neben der Fachdiskussion auch erste Entscheidungen, dass das neue unterhaltsrechtliche Paradigma Anwendungsfragen aufwirft. So verlangt ein Senat des OLG Oldenburg bereits die konkrete Darlegung (und den Beweis) der Ausgaben für den "Restbarunterhalt" (OLG Oldenburg FamRZ 2023, 1371). Dieser aus der Unterhaltsberechnung im paritätischen Wechselmodell heraus entwickelten Rechtsprechung droht damit praktisch eine ähnliche Darlegungslastigkeit und rechnerische Überdimensionierung (an welche der Gesetzgeber mit seiner 6-Schritte-Rechnung für den Unterhalt bei erweitertem Umgang nahtlos anknüpft). Und wer profitiert? Die Kinder und die praktische Handhabe sind es nicht. Stattdessen profitiert am meisten der gut bis top verdienende hauptbetreuende Elternteil, denn je größer der Unterscheid zwischen beiden addierten bereinigten Nettoeinkommen zu demjenigen des barunterhaltspflichten Elternteils ist, umso mehr Ehegattenunterhalt gibt es. Frei nach dem Motto: Wer hat, dem wird gegeben!

Die Ampulle mit Otto von Gierckes sprichwörtlichen "Tropfen socialen Öls" scheint bei dem Heben dieser Rechtsprechung aus der Taufe geklemmt zu haben.

Autor: Dr. Fritz R. Osthold

Dr. Fritz R. Osthold, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Familienrecht, Pinneberg

FF, S. 265

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