a) Hintergrund und Schutzziel
Die Dauer kindschaftsrechtlicher Verfahren war schon lange ein Stein des Anstoßes, nicht zuletzt auch für das BVerfG und den EGMR in Straßburg. Als Hintergrund des nunmehr in § 155 aufgenommenen Vorrang- und Beschleunigungsgebotes nennt die Entwurfsbegründung etwas farblos das "Interesse des Kindeswohls". Gemeint ist das spezifisch kindliche Zeitempfinden, dem eine Woche als Ewigkeit erscheinen mag, je nach Alter des Kindes, mit den entsprechenden psychischen Belastungen durch lange Verfahrensdauer und Unsicherheit, möglicherweise mehrfachen Wechsel und der inzwischen deutlich erkannten Gefahr einer faktischen Präjudizierung eines Sorge- oder Umgangsstreits – "justice delayed is justice denied", sagen die Briten. "Richtig" kann im Kindschaftsrecht eine Entscheidung oder Maßnahme immer nur sein, wenn sie auch "rechtzeitig" ist. § 155 sowie die weiteren Beschleunigungsansätze im FamFG entsprechen damit nicht nur inzwischen allgemeiner Erkenntnis und den richtig verstandenen Vorgaben von GG und EMRK, sondern auch einschlägigen völkerrechtlichen, auch für Deutschland bindenden Instrumenten: HKÜ, ESÜ, MSA bzw. KSÜ sowie insbesondere jetzt auch das Europäische Kinderrechteübereinkommen von 1996, das die materiellen Gewährleistungen der UN-Kinderkonvention verfahrensrechtlich umsetzt und in Art. 7 eine "Pflicht zu zügigem Handeln" auf Entscheidungs- und Vollstreckungsebene begründet.
b) Inhalt, Grenzen, Probleme
Die Grundnorm des § 155 ist § 61a ArbGG für Kündigungsschutzprozesse nachempfunden. Sie ordnet zweierlei an: Vorrang von Kindschaftssachen vor anderen Verfahren und Verfahrensbeschleunigung. Beide Gebote sind "in jeder Lage des Verfahrens" und in allen Rechtsinstanzen zu beachten – insbesondere bei der Anberaumung von Terminen, der Fristsetzung für Beteiligte und Gutachter oder der Bekanntgabe von Entscheidungen. Ungeregelt geblieben sind Vorrangfragen innerhalb der Kindschaftssachen, etwa je nach Art des Verfahrens, Alter des Kindes oder bisheriger Verfahrensdauer. Die Lücke kann und sollte durch richterlichen common sense, durch ein Fortdenken des Grundgedankens aus § 155 Abs. 1 zu schließen sein. Weiterhin fehlt eine Klarstellung, dass Vorrang- und vor allem Beschleunigungsgebot nicht nur für Richter, sondern – wenn die Gebote Effekt haben sollen – auch für die gesamte Justizorganisation gelten müssen: Schnelle Terminierung und Entscheidung nützen nichts, wenn sich Geschäftsstelle und Schreibdienste als Bermuda-Dreieck für wertvolle Zeit erweisen.
Schließlich bleibt auch unklar, ob für die allgemeine Vorschrift des FamFG für die Aussetzung von Verfahren, § 21, in Kindschaftssachen noch Raum ist. Die Entwurfsbegründung zu § 21 nennt als Beispiel, wo eine Aussetzung von der Sache her nicht in Betracht kommt, nur Verfahren zum Schutz des Kindes bei Gefährdungen. Von anderer Seite wird ein kompletter Ausschluss von § 21 für Kindschaftssachen gefordert.
Zu Zielkonflikten innerhalb des neuen Rechts wird es auch bei anderen Fragen kommen. Hinsichtlich der Einholung von (erfahrungsgemäß zeitraubenden) Sachverständigengutachten hat der Gesetzgeber einen Ausgleich in § 163 S. 1 versucht – das Familiengericht hat dem Gutachter eine Frist zu setzen. Das kann naturgemäß nur funktionieren bei vorheriger Absprache zwischen Gericht und Sachverständigem.
Eine weitere, dem richterlichen Ermessen überantwortete Konfliktsituation besteht im Rahmen der örtlichen Zuständigkeit, wenn ein Elternteil einseitig und unerlaubt den gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes verlagert hat: Nach Art. 154 "kann" das nunmehr zuständige Gericht das Verfahren an das Gericht des früheren gewöhnlichen Aufenthaltes des Kindes verweisen. Das kostet naturgemäß Zeit – dem Gericht obliegt die verantwortungsvolle Abwägung zwischen generalpräventiver Abwehr von Gerichtsstandsmanipulationen einerseits, dem kindlichen Beschleunigungsinteresse andererseits. Eine Verpflichtung zur Abgabe, gegebenenfalls mit klaren Zeitgrenzen, hätte wohl eher auf der Linie des HKÜ gelegen. Höchst bedenklich erscheint die auf Vorschlag des Rechtsausschusses eingefügte Ausnahme von dem Verweisungsrecht, wenn die eigenmächtig vollzogene Aufenthaltsänderung auch "zum Schutze des Kindes oder des betreuenden Elternteils erforderlich war" (§ 154 S. 2). Solche Situationen kommen vor – ihnen hätte aber im Rahmen des richterlichen Ermessens nach § 154 S. 1 Rechnung getragen werden können. So aber bietet das Gesetz dem eigenmächtigen (= entführenden...