Die Prüfung der Zuständigkeit des angerufenen Gerichts steht, wie jeder Praktiker weiß, an der Spitze aller verfahrensrechtlichen Überlegungen. Über die sachliche Zuständigkeit des Familiengerichts ist bereits berichtet worden; auf die örtliche Zuständigkeit werde ich in anderem Zusammenhang, beim Beschleunigungsgebot, kurz zu sprechen kommen. Hier soll der Fokus nur auf eine in der Praxis gelegentlich etwas vernachlässigte Thematik gerichtet werden, die internationale Zuständigkeit. Nach ihr ist zu fragen, wenn der Sachverhalt Auslandelemente aufweist. Das FamFG bringt insoweit inhaltlich nichts Neues: § 97 Abs. 1 betont jetzt auch auf der Ebene des internationalen Verfahrensrechts den Vorrang völkerrechtlicher und EG-gemeinschaftsrechtlicher Regelungen; dies entspricht Art. 3 Abs. 3 EGBGB für die Ebene des IPR. Soweit solche Regelungen fehlen oder nicht eingreifen, ist es Sache des internen deutschen Rechts, die internationale Zuständigkeit deutscher Familiengerichte festzulegen. Entsprechende Regelungen finden sich für Kindschaftssachen künftig in § 99 FamFG, der im Wesentlichen auf der Linie der bisherigen §§ 35b und 47 FGG liegt.
Vorrangig in Kindschaftssachen sind vor allem bei Entführungsfällen das HKÜ und das ESÜ sowie für Kindesschutzsachen das MSA beziehungsweise künftig das KSÜ.
Innerhalb der EU verdrängt, ganz übergreifend, die Brüssel IIa-VO (auch genannt: EuEheVO) von 2003 die nationalen Zuständigkeitsregeln für alle Fragen, die die "elterliche Verantwortung" betreffen; dabei werden auch die Vorschriften des HKÜ für den gemeinschaftsinternen Bereich modifiziert. Der mit "Zivilsachen" und "elterliche Verantwortung" umschriebene sachliche Anwendungsbereich der VO (Art. 1 lit. b)) ist in Grenzbereichen, insbesondere dem Kindesschutzrecht, unklar und umstritten; einige wichtige Klärungen hat insoweit eine EuGH-Entscheidung vom Ende des letzten Jahres gebracht. Insoweit ist, kurz aufgelistet, künftig Folgendes zu beachten:
(1) Die Auslegung der genannten Begriffe der VO hat nicht aus dem Blickwinkel des nationalen Rechts, sondern autonom aus dem Gemeinschaftsrecht heraus zu erfolgen. Dabei kennt das Gemeinschaftsrecht keine übergreifende Begrifflichkeit, vielmehr ist je nach dem Zweck jedes einzelnen Rechtsakts zu entscheiden, was mit "Zivilsachen" oder "elterlicher Verantwortung" gemeint ist – eine auch aus dem deutschen Recht durchaus bekannte, funktionale Betrachtungsweise.
(2) Für den Bereich der Brüssel IIa-VO legt der EuGH den Begriff der "elterlichen Verantwortung" extensiv aus – erfasst sollen im Ergebnis letztlich alle gerichtlichen oder behördlichen Maßnahmen sein, "die in irgendeiner Form auf die elterliche Verantwortung einwirken", also auch Maßnahmen, die auf der Schnittlinie von Familienrecht und öffentlichem Recht liegen, wie etwa die Unterbringung oder Inobhutnahme von Kindern.
(3) Diese weite Auslegung verletzt nicht die generelle Geltungsbeschränkung der VO auf "Zivilsachen" (Art. 1 Abs. 1). Für das Kindschaftsrecht ist eine Verflechtung zivil-, sozial- und allgemein-öffentlichrechtlicher Regelungen geradezu typisch, aber in den einzelnen Rechtsordnungen der EU durchaus unterschiedlich. Diese unterschiedliche rechtstechnische Ausgestaltung soll dem gemeinschaftseinheitlichen Kindschaftsverfahrensrecht nicht im Wege stehen, deshalb gelten alle Verfahren, die die elterliche Verantwortung in vorgenanntem weiten Sinne berühren, als "Zivilsachen" i.S.d. VO, selbst wenn sie nach materiellem nationalen Recht öffentlichrechtliche, unter Umständen sogar hoheitliche Züge tragen. Wen das verwundert, der sei darauf hingewiesen, dass auch der BGH kürzlich – im deutsch/österreichischen Fall der Schulpflichtverweigerung – wie selbstverständlich von dieser Position ausgegangen ist.
(4) Nimmt man hinzu, dass als "Gericht" i.S.d. VO alle mit kindschaftsrechtlichen Angelegenheiten befassten nationalen Behörden angesehen werden, so wird deutlich, dass nicht nur die Familiengerichte, sondern insbesondere auch die Jugendämter das europäische Kindschaftsverfahrensrecht zu beachten haben – etwa, wie im jetzigen EuGH-Fall – bei Inobhutnahmen gem. § 42 SGB VIII, aber wohl auch schon bei Hilfsangeboten gem. §§ 27 ff. SGB VIII: Diese setzen zwar elterliches Einverständnis voraus, sind aber doch eng mit staatlichen Schutzmaßnahmen verknüpft – so schon in § 1666a BGB. § 8a SGB VIII und die neu eingeführte "Erörterung der Kindeswohlgefährdung" (§ 157 FamFG) bauen die vernetzte Einwirkung von Jugendamt und Familiengericht auf die Familie weiter aus. Als Konsequenz werden auch die Jugendämter in Fällen mit Auslandsberührung ihre internationale Zuständigkeit nach der VO zu prüfen haben, aber auch die dort eröffneten Möglichkeiten der internationalen Zusammenarbeit nutzen können (Art. 15, 53 ff. VO).
Damit ist schließlich auch angedeutet, dass die Brüssel IIa-VO sich nicht nur auf die Begründung internationaler Zuständigkeit beschränkt, sondern auch auf das weitere Verfahren...