FamFG § 157
In Verfahren, in denen ein vollständiger oder teilweiser Entzug der elterlichen Sorge droht, ist die Beiordnung eines Rechtsanwalts für die Vertretung der betroffenen Eltern in einem Anhörungstermin geboten.
(Leitsatz der Redaktion)
OLG Frankfurt a.M., Beschl. v. 11.2.2010 – 1 WF 11/10 (AG Dillenburg)
Gründe:
Die Eltern und weiteren Beteiligten zu 1) und 2) begehren Verfahrenskostenhilfe für ein erstinstanzliches Verfahren. Mit Schreiben des Beteiligten zu 3) vom 17.11.2009 hatte dieser einen Antrag auf Anhörung der Eltern nach § 8a Abs. 3 SGB VIII gestellt. Es bestehe Grund zu der Annahme, dass das Wohl beider Kinder gefährdet sei. Das AG hat einen Anhörungstermin auf den 2.12.2009 bestimmt. Hierzu hat es die Eltern persönlich geladen. Mit Schriftsatz vom 1.12.2009 zeigte die Verfahrensbevollmächtigte der Beteiligten zu 1) und 2) deren Vertretung an, trat dem Vorwurf der Kindeswohlgefährdung entgegen und beantragte Verfahrenskostenhilfe unter ihrer Beiordnung.
Im Termin vom 2.12.2009 erklärten sich die Beteiligten zu 1) und 2) bereit, ab sofort die bereits angelaufene Familienhilfe wieder in Anspruch zu nehmen.
Mit dem angefochtenen Beschluss hat das AG den Antrag der Eltern auf Gewährung von Verfahrenskostenhilfe zurückgewiesen mit der Begründung, eine anwaltliche Vertretung sei in dem Verfahren nicht erforderlich gewesen.
Hiergegen wenden sich die Beteiligten zu 1) und 2) mit ihrer sofortigen Beschwerde.
Die sofortige Beschwerde ist zulässig gem. den §§ 76 Abs. 2, 127 Abs. 2, 567 ff. ZPO. Sie ist auch in der Sache begründet.
Zunächst war den Beteiligten zu 1) und 2) jedenfalls gem. den § 76 Abs. 1 FamFG, §§ 114 ff. ZPO Verfahrenskostenhilfe zu bewilligen.
Zudem war ihnen jedoch auch ein Rechtsanwalt gem. § 78 Abs. 2 FamFG beizuordnen, denn eine anwaltliche Vertretung erscheint in einem Verfahren wie dem vorliegenden geboten.
Bei dem auf eine Gefährdungsmitteilung und – wie hier – einen Antrag des Jugendamts nach § Abs. 3 SGB VIII hin eingeleiteten familiengerichtlichen Verfahren handelt es sich um ein Sorgerechtsverfahren i.S.d. § 151 Ziff. 1 FamFG vor dem Hintergrund der §§ 1666, 1666a BGB. Nach dem neu geschaffenen § 157 FamFG hat das Familiengericht in Verfahren nach den §§ 1666, 1666a BGB mit den Eltern, gegebenenfalls auch mit dem Kind bzw. mit den Kindern zu erörtern, wie einer möglichen Gefährdung des Kindeswohls, insbesondere durch öffentliche Hilfen, begegnet werden und welche Folgen die Nichtannahme notwendiger Hilfen haben kann. Insofern stellt die Norm des § 157 Abs. 1 jedenfalls eine notwendige Ergänzung zu § 8a Abs. 3 S. 1 SGB VIII dar (MüKo-ZPO/Schumann, 2010, § 157 FamFG Rn 5). Dabei ist das Gespräch nach § 157 FamFG Teil des Verfahrens nach den §§ 1666, 1666a BGB, denn nur in den Fällen an der Grenze zur Kindeswohlgefährdungsschwelle ist ein Gespräch zur Erörterung der Kindeswohlgefährdung vom staatlichen Wächteramt gedeckt (MüKo-ZPO/Schumann, a.a.O.).
Um einen solchen Termin zur Erörterung hat es sich vorliegend gehandelt. Dabei ist sowohl rechtlich als auch tatsächlich von einer besonderen Schwierigkeit des Falles auszugehen, die eine anwaltliche Vertretung der Eltern erforderlich erscheinen lässt. Infrage stehen vorliegend eine Gefahr der Verwahrlosung insbesondere der Tochter, ein Verdacht der Anwendung von Erziehungsmethoden unter Einschluss von körperlicher Gewalt sowie ein Verdacht des sexuellen Missbrauchs des Sohnes durch dritte Personen. Schon in tatsächlicher Hinsicht handelt es sich somit nicht um einen leicht gelagerten Fall. Angesichts der Vielfalt möglicher öffentlicher Hilfen und angesichts der Vielfalt von infrage kommenden Maßnahmen nach den §§ 1666, 1666a BGB ist der Fall auch rechtlich von einer Schwierigkeit, die jedenfalls eine Vertretung der Eltern durch einen Rechtsanwalt erforderlich erscheinen lässt.
Vor diesem Hintergrund war auf die umstrittene Frage, ob angesichts der Schwere eines möglichen Eingriffs in das grundrechtlich geschützte Elternrecht und angesichts des vollständigen oder zumindest teilweisen Sorgerechtsentzugs, der bei einem Antrag nach § 8a SGB VIII immer auch im Raum steht, eine anwaltliche Vertretung der Eltern schon grundsätzlich geboten erscheint, nicht weiter einzugehen. Jedenfalls in Fällen wie dem vorliegenden, in denen es um die Frage der Anwaltsbeiordnung für die beteiligten Eltern des Kindes geht, kann das Argument des Gesetzgebers, die Interessen des Beteiligten seien in hinreichendem Maße durch die Amtsermittlung und die Möglichkeit der Bestellung eines Verfahrensbeistands gewahrt (vgl. MüKo-ZPO/Viefhues, § 78 Rn 4), nicht greifen. Nach den verfassungsrechtlichen Vorgaben darf eine mittellose Partei nicht schlechter gestellt werden als eine bemittelte Partei, die die Kosten des Rechtsstreits selbst aufbringen kann (BVerfG FamRZ 2002, 531, 532). Es ist also auch nach der Gesetzesänderung danach zu fragen, ob eine bemittelte Partei sich in dem betreffenden Fall anwaltlicher Hilfe bedient hätte, um interessengerecht im Prozess vertreten zu ...