Der Bedarf des Kindes ist grundsätzlich im Einzelfall zu ermitteln. Die Lebensstellung des Kindes richtet sich nach den zusammengerechneten Einkommen beider Eltern, dabei sind die Besonderheiten des kindlichen Bedarfs beim Leben in zwei Haushalten zu berücksichtigen. Lässt sich dieser besondere Bedarf des Kindes beim Wechselmodell anhand der Unterhaltstabellen der Oberlandesgerichte ermitteln? Tragen diese den Besonderheiten der Situation hinreichend Rechnung und bilden sie den Bedarf angemessen ab?
Die Düsseldorfer Tabelle und andere OLG-Tabellen als richterliche Hilfsmittel sind für den Bedarf im Wechselmodell meines Erachtens nicht passend. Das Wechselmodell ist teurer, weil zahlreiche Kosten doppelt anfallen, die auch nicht in vollem Umfang in der Zeit der Abwesenheit des Kindes (wenn es sich beim anderen Elternteil aufhält) eingespart werden können. Aus den Tabellen lässt sich nicht entnehmen, wie der Bedarf beim Leben in zwei Haushalten genau bestimmt wird. Denn den Unterhaltsbeträgen der Tabellen liegt ein anderes Modell zugrunde als die paritätische Betreuung im Wechselmodell. Zwar lässt sich inzwischen der Mindestunterhalt der Gruppe 1 der Tabellen und der Mindestbedarf empirisch nachvollziehen, weil dies auf dem sächlichen Existenzminimum des Steuerrechts beruht, wie es auf Grundlage des Existenzminimumberichts errechnet wurde. Aber auch darin sind die Mehrkosten des Lebens in zwei Haushalten nicht enthalten.
Die Mehrkosten sind vom BGH als "Wechselmehrkosten" thematisiert worden. Bisher behilft sich die Praxis damit, dass die Tabellensätze weiterhin zugrunde gelegt und die "Wechselmehrkosten" bedarfserhöhend hinzugerechnet werden. Die Höhe der üblicherweise berücksichtigten Mehrkosten erscheint mir unzureichend zu sein. So wird Mehrbedarf für Wohnkosten anerkannt, für nachgewiesene Fahrtkosten und Betreuungskosten (Kindergartengebühren). Warum diese, andere nicht? Was ist mit höheren Kosten für Möbel, Spielzeug, Kleidung etc., die in beiden Haushalten vorgehalten werden müssen? Denn das Kind kann nicht jedes Mal alles im Handwagen herumtransportieren, vom Computer bis zum Schreibtischstuhl, dem Fahrrad und den Turnschuhen. Was ist mit den Mehrkosten für Ernährung, denn diese halbieren sich nicht einfach bei Abwesenheit, die Einspareffekte sind begrenzt. Viele Fixkosten laufen in gewisser Höhe weiter. Wenn dies nicht berücksichtigt wird, besteht die Gefahr, dass der Bedarf zu niedrig angesetzt wird und ein Wechselmodell zulasten des Kindes und des ökonomisch schwächeren Elternteils geht.
Daher sollten auch Anwältinnen und Anwälte die entsprechenden Kosten sehr genau ermitteln und konkret vortragen. Die OLG-Unterhaltstabellen passen nicht, da sie auf einem anderen Modell beruhen. Erforderlich sind haushaltsökonomische und statistische Untersuchungen, um die veränderten Kosten bei einer "doppelten Haushaltsführung" des Kindes im Wechselmodell zu ermitteln; transparente und sachlich fundierte empirische Grundlagen sowie Modellrechnungen sind wünschenswert, um Schätzungen der Wechselmehrkosten auch für höhere Einkommensgruppen zu ermöglichen. Derzeit fehlt dies.
Auch das Bundessozialgericht hatte sich damit zu beschäftigen, wie die Mehrkosten zu berücksichtigen sind, wenn ein Kind zu zwei Bedarfsgemeinschaften von getrennt lebenden Eltern gehört, die annähernd gleich betreuen und SGB II-Leistungsberechtigte sind. Mit dem Mehrbedarf für Alleinerziehende sollen gewisse Mehrkosten abgedeckt werden, auch wenn diese nicht mit den vom BGH diskutierten "Wechselmehrkosten" identisch sind. Das BSG hat entschieden, dass bei geteilter Betreuung der Anspruch auf den im SGB II vorgesehenen Zuschlag zur Grundsicherungsleistung, der Mehrbedarf für Alleinerziehende gemäß § 21 Abs. 3 SGB II, auch dann gewährt wird, wenn das Kind abwechselnd bei beiden Elternteilen lebt, und dass jeder Elternteil dann Anspruch auf den halben Mehrbedarfszuschlag habe. Denn der Mehrbedarf für Alleinerziehende trage besonderen Lebensumständen Rechnung, in denen typischerweise ein höherer Bedarf bestehe, und diese Lebensumstände liegen laut Bundessozialgericht beim Wechselmodell grundsätzlich vor, "wenn sich geschiedene und getrennt wohnende Eltern bei der Pflege und Erziehung des gemeinsamen Kindes in größeren, mindestens eine Woche umfassenden Intervallen abwechseln und sich die anfallenden Kosten in etwa hälftig teilen." Dieser sozialrechtliche Mehrbedarf ist meiner Meinung nach auch im Unterhaltsrecht zu berücksichtigen; eine Möglichkeit wäre es, ihn pauschal zum Mindestunterhaltsbedarf des Kindes hinzuzurechnen.