Interview mit Dr. Heinz Georg Bamberger, Justizminister des Landes Rheinland-Pfalz
Dr. Heinz Georg Bamberger
FF/Schnitzler: Die Vernachlässigung von Kindern in Problemfamilien beschäftigt die Öffentlichkeit, aber auch zunehmend die Politik. Die Mitglieder des Deutschen Bundestages haben am 24.4.2008 dem Gesetzentwurf zur Erleichterung familiengerichtlicher Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls einstimmig zugestimmt. Vorausgegangen waren Empfehlungen einer Expertenarbeitsgruppe, die Maßnahmen im Einzelnen vorgesehen hatten. Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 23.5.2008 das Gesetz passieren lassen bzw. keinen Antrag auf Einberufung des Vermittlungsausschusses nach Art. 77 Abs. 2 Grundgesetz gestellt. Was versprechen Sie sich von dem Gesetz im Einzelnen?
Dr. Bamberger: Der beste Kinderschutz ist die Prävention. Wir müssen deshalb erreichen, dass wir zu einem möglichst frühen Zeitpunkt nachhaltig auf die Eltern gefährdeter Kinder einwirken und so einen Hilfeprozess in Gang setzen, der möglichst dauerhaft zu einer Verbesserung der Situation führt. Ich verspreche mir von dem Gesetz, dass die Familiengerichte früher, als dies heute der Fall ist, eingebunden werden und dass diese frühzeitige Intervention einen Beitrag im Hilfeprozess leistet. Dies wird durch ein ganzes Bündel von Maßnahmen erreicht.
Durch Streichung der Tatbestandsvoraussetzung des "elterlichen Erziehungsversagens" in § 1666 BGB wird den Eltern der Weg zu einer Kooperation mit dem Jugendamt leichter gemacht. Nicht der oft schwer nachweisbare Vorwurf an sie steht im Vordergrund, sondern allein die Frage, wie man die Situation in Zukunft verbessern kann. Auch für das Jugendamt wird dadurch die Einschaltung des Familiengerichts einfacher.
Die Konkretisierung der Maßnahmen in § 1666 BGB hat mehrere Vorteile. Auch hier wird die Hemmschwelle für die Jugendämter, die Familiengerichte anzurufen, gesenkt. Die Jugendämter werden geradezu ermutigt, sich frühzeitig an die Familiengerichte zu wenden; denn aus dem Gesetz selbst wird deutlich, dass dies nicht erst dann geschehen soll, wenn die Frage eines eventuellen Entzugs der elterlichen Sorge im Raum steht. Auch den Eltern kann der gesetzliche Schutzauftrag besser klargemacht werden. Und durch das Gericht erhält das Angebot der Jugendhilfe auch eine andere Verbindlichkeit. So entsteht der Druck, den manche Eltern brauchen.
Dieser Gesichtspunkt spielt auch eine wichtige Rolle bei dem neu ins Gesetz aufgenommenen Erörterungsgespräch. Hier geht es darum, in gemeinsamer Runde zu besprechen, was nicht richtig läuft, und zu überlegen, was die Eltern künftig anders machen müssen. Auch dies wird den Eltern verdeutlichen, wie ernst die Situation ist, und so ihre Bereitschaft, mit der Jugendhilfe zusammenzuarbeiten, fördern. Die gerichtliche Überprüfung in Fällen, in denen das Gericht von konkreten Maßnahmen abgesehen hat, ist ein weiterer Mosaikstein. Es hat sich in der Vergangenheit gezeigt, dass Eltern, wenn gerichtliche Maßnahmen nicht getroffen wurden, das Gefühl hatten, über das Jugendamt gesiegt zu haben. Entsprechend gering war ihre Bereitschaft zu einer Kooperation. Auch ist es nicht selten, dass Gerichte von der Anordnung konkreter Maßnahmen absehen, weil die Eltern versprechen, sich künftig anders zu verhalten, sich daran aber dann doch nicht halten. Jugendämter haben in beiden genannten Konstellationen Hemmungen, einen Fall erneut zu Gericht zu bringen. Hier ist es bestimmt hilfreich, wenn auch das Familiengericht weiter mit in der Verantwortung bleibt und den Eltern von Anfang an verdeutlicht, dass es von sich aus nach kurzer Zeit den Fall noch einmal überprüfen wird.
Durch das Vorrang- und Beschleunigungsgebot soll erreicht werden, dass kindschaftsrechtliche Verfahren in möglichst kurzer Zeit abgeschlossen werden. Oft führt eine lange Verfahrensdauer dazu, dass der Kontakt zwischen dem Kind und einem Elternteil abbricht und eine Entfremdung eintritt. Dies soll nach Möglichkeit verhindert werden. Auch trägt ein früher Termin dazu bei, dass nicht erst lange Schriftsätze gewechselt werden, die nicht selten das Klima verschlechtern und zu einer Eskalation führen.
Und schließlich der letzte Punkt: In Fällen einer geschlossenen Unterbringung wird mehr Rechtsicherheit geschaffen, indem die gesetzlichen Voraussetzungen konkretisiert werden. Dies wird in der Praxis die Anwendung von § 1631b BGB erleichtern.
Über diese genannten Maßnahmen hinaus wird das Gesetz insgesamt eine bessere Verzahnung der Arbeit der Jugendhilfe und der Gerichte bringen. Das Sich-Zusammensetzen in einem frühen Erörterungstermin wird zu einem besseren Kontakt zwischen diesen beiden Institutionen führen. Und das gemeinsame Einwirken auf die Eltern wird das Bewusstsein für die bestehende Verantwortungsgemeinschaft stärken.
Wir haben in Rheinland-Pfalz schon bereits vor einiger Zeit erste Schritte zu einer verdichteten Zusammenarbeit von Jugendhilfe und Justiz auf Landesebene unternommen. Bei einer Fachtagung im März dieses Jahres "Aufwachsen in ö...