Eine Verbleibensanordnung nach § 1632 Abs. 4 BGB stellt eine vorrangige Sonderregelung und zugleich das mildere Mittel gegenüber einem Entzug der Personensorge nach § 1666 BGB dar (§ 1666a Abs. 2 BGB). Sie setzt voraus, dass das Kind seit längerer Zeit in Familienpflege lebt und durch die Wegnahme das Kindeswohl gefährdet würde.
1. Familienpflege seit längerer Zeit
Der Zeitbegriff ist nicht absolut, sondern kinderpsychologisch zu verstehen und orientiert sich damit am kindlichen Zeitempfinden. Je jünger das Kind ist, desto länger wird ihm die Zeitspanne erscheinen, und umso länger ist auch die Zeit in Beziehung zur Dauer seines bisherigen Lebens, so dass es schon einen recht langen Zeitraum darstellt, wenn ein einjähriges Kind seit einem halben Jahr in einer Pflegefamilie gelebt hat. Allerdings ist die Zeit nicht allein maßgebend. Vielmehr kommt es nach der Zweckrichtung von § 1632 Abs. 4 BGB darauf an, ob das Kind seinen leiblichen Eltern entfremdet ist und in der Pflegefamilie seine Bezugswelt gefunden hat. Insoweit kann das Merkmal der längeren Zeit auch noch nach Jahren fehlen, wenn sich das Kind in die Pflegefamilie nicht eingelebt hat.
2. Kindeswohlgefährdung durch Herausgabeverlangen
Der Gefahrenbegriff in § 1632 Abs. 4 BGB entspricht dem des § 1666 BGB. Erforderlich ist also eine zur Zeit der Geltendmachung des Herausgabeverlangens begründete gegenwärtige Besorgnis, dass durch die Wegnahme des Kindes von den Pflegeeltern das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes gefährdet wird. Ob diese Voraussetzungen erfüllt sind, hängt letztlich von einer Abwägung der Kindesinteressen, der Interessen der Pflegeeltern und der leiblichen Eltern ab. Dabei spielen die Dauer der Pflege und der Zeitpunkt der Inpflegegabe (ab Geburt oder später) ebenso eine Rolle wie etwa die Rahmenbedingungen, die das Kind in der Herkunftsfamilie vorfinden wird, die Persönlichkeit und der Wille des Kindes, die persönlichen Defizite der Eltern, wie z.B. Überforderung, Erkrankung oder eine eingeschränkte Erziehungseignung. Wichtig sind weiter der Anlass der Familienpflege sowie die Frage, ob bereits eine Entfremdung zwischen Kind und leiblichem Elternteil eingetreten ist oder ob die Eltern den Kontakt zu dem Kind nicht haben abreißen lassen.
Fasst man diese Kriterien zusammen, so geht es letztlich um das Ausmaß der Integration des Kindes in der Pflegefamilie und den Umfang der Gefahr einer seelischen Entwurzelung des Kindes durch Rückkehr zu seinen Eltern. Für diese Abwägung ist wichtig, wie stark das Band zwischen den leiblichen Eltern und dem Kind noch ist und inwieweit die Eltern in der Lage sind, die mit der Trennung von den unmittelbaren Bezugspersonen verbundenen psychischen Belastungen aufzufangen bzw. die negativen Folgen einer eventuellen Traumatisierung gering zu halten. Nur so kann, wie das BVerfG zu Recht betont, neben dem Elternrecht dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Kindes aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG und der Grundrechtsposition der Pflegefamilie aus Art. 6 Abs. 1 und 3 GG Rechnung getragen werden.
Ob und inwieweit diese Erziehungsfähigkeit noch vorhanden ist oder mithilfe von Maßnahmen nach §§ 27 ff. SGB VIII hergestellt werden kann, hängt von der Schwere und Nachhaltigkeit der Schäden des körperlichen und seelischen Wohlbefindens ab, die bei einer Herausgabe an die Eltern zu erwarten sind; diese Frage kann nur ein Sachverständiger im Einzelfall beurteilen. In einem Fall, in dem ein Kind seit 18 Monaten in einer Pflegefamilie gelebt hat und die Kindesmutter wegen schwieriger wirtschaftlicher und privater Verhältnisse schon vor der Geburt ihr Kind zur Adoption freigegeben hat, hat das OLG Frankfurt eine Verbleibensanordnung mit der Begründung erlassen, dass die Herausnahme des Kindes aus seinem jetzigen Umfeld mit einer schwerwiegenden Traumatisierung mit nachhaltigen Störungen der weiteren Entwicklung verbunden wäre und es einer besonders kompetenten Beziehungsperson mit überdurchschnittlichen Fähigkeiten bedürfte, um die Situation eines so getrennten Kindes aufzufangen. Genau in diesem Bereich lägen aber die Kompetenzen der Kindesmutter auf Grund ihrer eigenen Biographie nicht. Der bislang durchgeführte Umgang habe gezeigt, dass es der Kindesmutter nicht gelungen sei, eine nähere Beziehung zu dem Kind aufzubauen.
Geht man davon aus, dass mit jedem neuen Herausgabeverlangen die traumatische Schäd...