Die vorstehende Entscheidung ist die vierte in der Reihe der Entscheidungen des BGH zur Dauer des Betreuungsunterhalts nach neuem Recht. Man wird sie nicht als spektakulär bezeichnen können. Aber sie ist wichtig, denn sie ist erkennbar ein Baustein im Rahmen einer jungen und sich noch entwickelnden Rechtsprechung. Drei von der Entscheidung berührte Aspekte sollen hier angesprochen werden.
1. Zunächst ist man überrascht: Die Argumentation des Berufungsgerichts, des OLG München, bewegte sich auf der Basis eines modifizierten Altersphasenmodells. Der Heranziehung eines Altersphasenmodells, sei es auch in einer gegenüber der früheren Handhabung modifizierten Form, hatte der BGH, nachdem er zunächst damit zu sympathisieren schien (Urt. v. 16.7.2008), aber soeben in den Entscheidungen vom 18.3.2009 und vom 6.5.2009 eine klare Absage erteilt und eine Beurteilung des Umfangs der Erwerbsobliegenheit des kinderbetreuenden Elternteils auf der Grundlage einer Beurteilung der Einzelfallumstände verlangt. Wie ist es damit zu vereinbaren, dass der BGH den Standpunkt des OLG München billigt, die das seinerzeit 6-jährige Kind betreuende Klägerin genüge mit einer halbschichtigen Berufstätigkeit ihrer Erwerbsobliegenheit?
Die weitere Lektüre der Entscheidung verschafft Klarheit: Keineswegs nähert der BGH sich nun doch (wieder) der Idee einer – von Vielen aus Gründen der Vereinheitlichung und Vorhersehbarkeit der Rechtsprechung favorisierten, aber mit der neuen Gesetzeslage nicht zu vereinbarenden – Schematisierung im Sinne eines neuen Altersphasenmodells an. Er kommt vielmehr unter Heranziehung der vom Berufungsgericht festgestellten und weiterer in der Revisionsinstanz unstreitig gewordener Umstände des vorliegenden Einzelfalls zu dem Ergebnis: Mehr als halbschichtig muss die Klägerin nicht arbeiten.
Bemerkenswert ist, dass der BGH dabei keine hohen Anforderungen stellt. Für einen Unterhaltsanspruch, der auf einem Einkommen aus halbschichtiger Erwerbstätigkeit basiert, lässt er die Information genügen, dass das Kind bis 14 Uhr außer Haus ist, zunächst im Kindergarten, seit Mitte 2008 in der Grundschule, und dass ein Antrag für einen Platz im Hort nach der Schule abschlägig beschieden worden ist. Eine im vorliegenden Fall evtl. in Rede stehende Drittbetreuungsmöglichkeit in den Nachmittagsstunden durch die Eltern der Klägerin wäre nach Ansicht des BGH irrelevant, weil solche – freiwilligen – Leistungen nicht zur Entlastung des Beklagten bestimmt wären (dazu unten 3.). Soweit man die Frage stellen könnte, ob die Klägerin nicht in den Stunden bis 14 Uhr mehr als halbschichtig arbeiten könnte, lässt es der BGH genügen, dass das OLG dies – ohne nähere Begründung – aus elternbezogenen Gründen nicht für zumutbar hält.
Dieser in der vorliegenden Entscheidung erkennbaren Linie des BGH, einerseits keine Pauschalierungen, kein neues Altersphasenmodell mit der Konsequenz einer Beweislastumkehr zu akzeptieren, andererseits aber bei einem Kind, das noch den Kindergarten besucht bzw. gerade eingeschult wird, keine strengen Anforderungen zu stellen, soweit es darum geht, ob die Umstände eine mehr als halbschichtige Erwerbstätigkeit des betreuenden Elternteils zulassen, ist zuzustimmen. Sie trägt einerseits der Gesetzeslage, andererseits der realen typischen Belastungssituation der kinderbetreuenden Eltern Rechnung.
2. Der BGH wiederholt im vorstehenden Urteil seinen schon in den vorangegangenen Entscheidungen vertretenen Standpunkt, unter dem Gesichtspunkt der elternbezogenen Gründe könne eine überobligationsmäßige Belastung des betreuenden Elternteils zu berücksichtigen sein, die sich im Falle einer vollschichtigen Erwerbstätigkeit auch bei ganztägiger Fremdbetreuung des Kindes im Hinblick auf den verbleibenden Betreuungsbedarf bei Rückkehr in die Familienwohnung ergeben könne (Stichwort: unzumutbare Doppelbelastung). Diesen Standpunkt sollte der BGH überdenken.
a) Zweifellos kann sich je nach den Umständen des Einzelfalls eine Überforderung eines Elternteils ergeben, der ganztägig arbeitet und nach Feierabend alle Arbeiten bewältigen muss, die mit der Betreuung und dem Zusammenleben mit einem Kind oder gar mehreren Kindern verbunden sind. Diese Belastungen sind in jüngerer Zeit von verschiedenen Autoren zu Recht anschaulich geschildert und hervorgehoben worden und sollen hier nicht noch einmal aufgeführt werden. Doch erscheint eine Verortung dieser Belastungen unter den elternbezogenen Gründen und ihre Bewertung – nach einem Vergleich mit den Belastungen, denen der Barunterhaltspflichtige ausgesetzt ist – als überobligationsmäßig verfehlt.
Führen die Belastungen dazu bzw. müssten sie nach den konkreten Umständen dazu führen, dass dem betreuenden Elternteil (nehmen wir im Folgenden an: der Mutter) zu wenig Zeit, Kraft oder Nerven für die erforderliche persönliche Zuwendung zum Kind bleibt oder ist bzw. wäre die Mutter sonst durch die Doppelbelastung überfordert, so leidet das Kind darunter mehr oder weniger unmittelbar. Es stehen dann...