Insbesondere Beteiligte und ihre Anwälte kennen aus ihrer Praxis die Nichtbescheidung von Anträgen, auch von Eilanträgen; faktisch bedeutet diese richterliche Verhaltensweise die Ablehnung für die Zeiträume seit Eingang des Antrags bis zur dann hoffentlich irgendwann ergehenden Bescheidung. Was kann aber in der Zwischenzeit ohne gerichtliche Entscheidung in den unterschiedlichen Fallkonstellationen eintreten?
- Ein nicht einverständlich, also widerrechtlich herbeigeführter Aufenthaltsort bleibt aufrechterhalten.
- Umgang findet nicht statt, obwohl von ihm positive Wirkungen ausgehen könnten, oder er findet statt, obwohl von diesem Gefährdungen ausgehen könnten.
- Über Maßnahmen zur Abwehr von Kindeswohlgefährdungen wird nicht entschieden, d.h. ein Gefährdungszustand bleibt aufrechterhalten.
- Oder falls das Jugendamt zum Instrument der Inobhutnahme greift, die Eltern jedoch widersprechen, bleibt dieser ungeklärte Schwebezustand mit massiven Grundrechtseingriffen aufrechterhalten, weil über die Rechtmäßigkeit dieser Maßnahme letztlich nur der Familienrichter entscheidet, auch wenn es sich um einen Verwaltungsakt der Kinder- und Jugendbehörde handelt.
- Ein fest in einer Pflegefamilie verwurzeltes Kind wird nach einem Besuch bei den Eltern nicht zu den Pflegeeltern zurückgebracht und seines Lebensmittelpunktes beraubt.
Kleinkinder "messen" diese Zeiträume anders als Erwachsene. Gemeint ist das spezifisch kindliche Zeitempfinden, dem eine Woche als Ewigkeit erscheinen mag, je nach Alter des Kindes, mit den entsprechenden psychischen Belastungen durch lange Verfahrensdauer und Unsicherheit, möglicherweise mehrfachen Wechsel. Die Nichtentscheidung in diesen Zeitphasen schafft Faktizität. Die Gestaltung des Verfahrens in Kindschaftssachen muss daher der Gefahr einer faktischen Präjudizierung Rechnung tragen. Die Aufrechterhaltung dieses Zustands kann und wird häufig die "am wenigsten schädliche Alternative" sein und in dieser Situation zumeist noch am ehesten dem Kindeswohl entsprechen. Auf solche Entwicklungen trifft man vor allem in Verfahren, die die elterliche Sorge betreffen, sind doch die vom Faktor Zeit beeinflussten Kriterien zur Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs "Kindeswohl", hier vor allem Bindung und Kontinuität, von besonderer Bedeutung. Es offenbart sich aber auch in Verfahren, die das Umgangsrecht betreffen: Nicht nur, weil jeder Tag der Nichtbescheidung eines Umgangsantrages dessen inzidente Ablehnung für die Vergangenheit in sich trägt, sondern weil auch hier die Möglichkeiten der Aufrechterhaltung bzw. Pflege der Beziehungen vom Zeitablauf beeinflusst werden. In den inzwischen auf 45.000 angestiegenen Umgangsverfahren besteht häufig ein Klima, welches an erbittert geführte Gerichtsverfahren um Eigentum und Besitz erinnert. Zuweilen entsteht der Eindruck, dass Umgang um fast jeden Preis und mit allen Mitteln – sogar unter Umgehung des Gewaltverbots zur Durchsetzung von Umgang – durchgesetzt werden soll, so dass immer wieder "Ergebnisse" solcher erbittert geführten Streitigkeiten entstehen, die die Beteiligten langfristig noch mehr einander entfremden als es vor dem Gerichtsverfahren der Fall war. Manchmal wäre die Nichtintervention hilfreicher als die aufgebauten Zwangskontexte.