Das Vorrang- und Beschleunigungsgebot (§ 155 Abs. 1 FamFG) wird durch verschiedene weitere Regelungen im FamFG unterstützt. Zu einer kürzeren Verfahrensdauer sollen
- der frühe Termin (§ 155 Abs. 2 FamFG),
- die Möglichkeit der Anordnung des persönlichen Erscheinens (§ 155 Abs. 3 FamFG),
- eine Kostentragungspflicht, wenn ein Beteiligter durch schuldhaftes Verletzen seiner Mitwirkungspflicht das Verfahren erheblich verzögert hat (vgl. § 81 Abs. 2 Nr. 4 FamFG),
- die Pflicht zur Erörterung des Erlasses einer einstweiligen Anordnung in Kindschaftssachen, die den Aufenthalt, das Umgangsrecht oder die Herausgabe des Kindes betreffen (§ 156 Abs. 3 S. 1 FamFG),
- das nicht anfechtbare Gebot des Erlasses einer einstweiligen Anordnung zur Teilnahme an einer Beratung oder schriftlichen Begutachtung (§ 156 Abs. 3 S. 2 FamFG),
- die Pflicht zur unverzüglichen Prüfung des Erlasses einer einstweiligen Anordnung in Verfahren nach §§ 1666, 1666a BGB (vgl. § 157 Abs. 3 FamFG),
- die frühzeitige Bestellung des Verfahrensbeistandes (§ 158 Abs. 3 S. 1 FamFG) sowie
- die Fristsetzung bei schriftlicher Begutachtung (§ 163 Abs. 1 FamFG)
beitragen.
Die Praxis wird zeigen, ob künftighin durch diese diversen verfahrensrechtlichen Instrumente eine angemessene Verfahrensdauer in Kindschaftssachen gewährleistet wird. Hier bietet sich ein breites Feld für die Rechtstatsachenforschung über die Wirkungen des FamFG an. Eigentlich müsste es den Gesetzgeber interessieren, ob die von ihm intendierten Reformziele auch tatsächlich erreicht werden. Einen hinreichenden Rechtsschutz gegen Verfahrensverzögerungen versagt das deutsche Gesetzesrecht den Verfahrensbeteiligten derzeit noch. Den Beteiligten bleibt vorerst als Primärrechtschutz im Wesentlichen nur die sog. Untätigkeitsbeschwerde. Der Gesetzgeber hat dieses strukturelle Defizit erkannt und es liegt inzwischen ein Referentenentwurf über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren vor. Nach wie vor fehlt es bislang an der Aufnahme eines expliziten Beschleunigungsgebotes im SGB VIII, welches sich an die öffentlichen Träger der Jugendhilfe wendet.
Der Anwendungsbereich des § 155 FamFG erstreckt sich auf alle Kindschaftssachen unabhängig vom Alter des Kindes. Sie gilt auch für die Genehmigung einer freiheitsentziehenden Unterbringung trotz § 167 FamFG, da hier der Aufenthalt des Kindes betroffen ist. Die Norm gilt erst recht
- in Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit einem der in Abs. 1 genannten Regelungsgegenstände,
- in entsprechenden Vollstreckungsverfahren,
- in den Verfahren auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe,
- bei inzidenten Zuständigkeitskonflikten (nach § 5 FamFG),
- in Befangenheitsverfahren (i.S.v. § 6 FamFG),
- im Beschwerdeverfahren.
Das Vorrang- und Beschleunigungsgebot erfasst nicht nur die richterliche Tätigkeit, sondern auch die organisatorischen Abläufe in der Geschäftsstelle: "Schnelle Terminierung und Entscheidung nützen nichts, wenn sich Geschäftsstelle und Schreibdienste als Bermuda-Dreieck für wertvolle Zeit erweisen."
Das Vorranggebot bringt die erfassten Fallkonstellationen auf die Überholspur, weil diese gegenüber den anderen Familiensachen bevorzugt und damit früher zu erledigen sind: bevorzugte Bearbeitung, verfahrensfördernde Maßnahmen, Organisation der persönlichen Anhörungen nach §§ 159, 160 FamFG, die mit dem frühen Termin verbunden werden können, etc. Verfahrensplanung und Verfahrensmanagement werden somit auch zu unausweichlichen Aufgaben familienrichterlicher Tätigkeit. Es empfiehlt sich für die Gerichte, Zeitpuffer vorzuhalten, weil ansonsten Aufhebungen und Verlegungen von bereits anberaumten Terminen in nicht vorrangigen Verfahren notwendig werden könnten, was auf großen Unmut stoßen wird. Bei Terminkollisionen mit Verfahren von nicht gleichem Rang haben die bevorrechtigten Verfahren Vorfahrt. Somit haben etwa Ehesachen, Unterhaltssachen oder Güterrechtssachen das Nachsehen, weil sie im Konfliktfall nachrangig zu behandeln sind. Eilverfahren können auch einen bevorzugten Rang beanspruchen, ebenso Verfahren über die Unterbringung Minderjähriger, Verfahren nach dem HKÜ sowie Verfahren in den Bereichen Wohnungszuweisung und Gewaltschutz. Bewusst sind hier "zwingende" und nicht nur "erhebliche" Gründe für eine Terminsverlegung gefordert.