1. Inhaltskontrolle und Kernbereichslehre
Vor dem Hintergrund dieser vertragstheoretischen Überlegungen erschließt sich das höchstrichterliche System einer Inhaltskontrolle von Eheverträgen. Ausgangspunkt dieser Rechtsprechung ist nach wie vor, dass die Scheidungsfolgen und insbesondere der Zugewinnausgleich grundsätzlich der vertraglichen Disposition der Ehepartner unterliegen. Ein unverzichtbarer Mindestgehalt an Scheidungsfolgen wird also auch für die arbeitsteilige Einverdienerehe nicht anerkannt. Allerdings soll die grundsätzliche Disponibilität nicht dazu führen dürfen, dass der Schutzzweck der gesetzlichen Regelungen durch vertragliche Vereinbarungen beliebig unterlaufen werden kann. Eine die Inhaltskontrolle auslösende Schutzzweckverfehlung soll dann vorliegen, wenn bei einer Gesamtwürdigung aller Umstände die ehevertragliche Abweichung von den gesetzlichen Scheidungsfolgen zu einer evident einseitigen Lastenverteilung führen würde, die durch die individuelle Gestaltung der ehelichen Lebensverhältnisse nicht gerechtfertigt wird und die hinzunehmen für den belasteten Ehegatten bei verständiger Würdigung des Wesens der Ehe unzumutbar erscheint. Die vom BVerfG als Anlass und Legitimation herangezogene "typische strukturelle Ungleichgewichtslage" spielt völlig zu Recht keine Rolle. Das ist vor dem Hintergrund der soeben erfolgten theoretischen Grundlegung nachvollziehbar und sachgerecht. Dieser Gesichtspunkt geht am Kern des Problems eines präventiven Verzichts auf das gesetzliche Scheidungsfolgensystem vorbei.
Die Inhaltskontrolle (verstanden als Oberbegriff) erfolgt zweistufig: Über § 138 wird die ehevertragliche Vereinbarung einer Wirksamkeitskontrolle für den Zeitpunkt des Vertragsabschlusses unterzogen, während über § 242 im Wege der Ausübungskontrolle überprüft wird, ob eine Berufung auf den vertraglichen Ausschluss gesetzlicher Scheidungsfolgen zum Zeitpunkt der Geltendmachung der Rechte rechtsmissbräuchlich ist. Die beiden Kontrollmechanismen sollen sich in ihrem zeitlichen Bezug, in der Intensität der Verletzung der Interessen des berechtigten Ehepartners und in der Rechtsfolge unterscheiden. Diese Differenzierung ist vor dem Hintergrund der eben entwickelten Überlegungen ebenfalls sachgerecht, die Instrumente der Wirksamkeitskontrolle und der Ausübungskontrolle zielen im Ausgangspunkt auf ganz unterschiedliche Problemlagen – den Ehevertrag aus Verzweiflung einerseits und den Ehevertrag aus Überoptimismus andererseits.
Ob eine Vereinbarung evident einseitig, ungerechtfertigt und unzumutbar ist, wird mithilfe einer differenzierenden Gewichtung der gesetzlichen Scheidungsfolgen ermittelt. Das Bewertungsraster wird bildlich als ein System konzentrischer Kreise beschrieben; den innersten Ring soll ein Kernbereich bilden, der die bedeutsamsten Scheidungsfolgen erfasst. Nach diesem formalen Ranking der Scheidungsfolgen, das sich reichlich schnell zu einer Kernbereichslehre verfestigt hat, soll die Sicherung des laufenden Unterhaltsbedarfs für den Berechtigten im Zentrum stehen, mit Priorität des Unterhalts wegen Kinderbetreuung (§ 1570). Auf dieser Ebene wird auch der Kranken- und Altersvorsorgeunterhalt angesiedelt, soweit er dem Ausgleich ehebedingter Nachteile dient. Zunehmend Bedeutung misst der BGH der Altersabsicherung über den Versorgungsausgleich bei, dementsprechend beurteilt er die (kompensationslose) Abbedingung des Versorgungsausgleichs in der Einverdienerehe neuerdings als grundsätzlich kritisch. Weitgehend disponibel soll dagegen – wie schon einleitend angedeutet – der Zugewinnausgleich sein. Das Eheverständnis erfordere keine bestimmte Zuordnung des Vermögenserwerbs, die eheliche Lebensgemeinschaft sei nicht notwendig auch eine Vermögensgemeinschaft, lautet die berühmte Formel. Die dem Zugewinnausgleich zugrunde liegende Fiktion einer Gleichwertigkeit von Haushaltsführung und Erwerbseinkommen hindere die Ehegatten nicht, eigene ökonomische Bewertungen an die Stelle der gesetzlichen Typisierung zu setzen. Daraus wird gefolgert, dass eine Gütertrennung für sich genommen nicht die Sittenwidrigkeit des Ehevertrags begründen, sondern allenfalls zur Unbilligkeit des Zugewinnausschlusses führen könne. Dies sei etwa denkbar, wenn beide Ehegatten bei Vereinbarung der Gütertrennung berufstätig gewesen seien, jedoch ein späterer, durch die unvorhergesehene Betreuung von Kindern oder Eltern erzwungener Berufsverzicht einen Ehegatten um die Früchte seiner Berufstätigkeit gebracht habe. Dieser ehebedingte Nachteil könne durch die Ausübungskontrolle kompensiert werden, aber nicht über den Zugewinnausgleich, sondern auf unterhaltsrechtlichem Wege. Auch das Gebot ehelicher Solidarität fordere keine wechselseitige Vermögensbeteiligung der Ehegatten; ihre Verantwortung füreinander sei dem Unterhaltsrecht anvertraut; eine unbillig gewordene Gütertrennung sei daher mit Mitteln des Unterhaltsrechts zu korrigieren.