In jeder Gesellschaft herrschen bestimmte Normen über das Verhältnis von Frauen und Männern. Freilich bestehen in ihr nicht unbedingt die gleichen Vorstellungen; offizielle Normen brauchen sich keineswegs mit tatsächlichem Verhalten zu decken. Rechtskultur und kulturelle Regeln einer Gesellschaft stehen oft in einem Spannungsverhältnis. Wirft man noch einen Blick auf Familien mit Migrationshintergrund, so ergibt sich ein noch bunteres Bild. Dies alles kann hier nur angedeutet werden.
Bezüglich des Familienrechts wird vielfach betont, dass hier sehr kulturgebundene, länderspezifische Vorstellungen bestehen. Im Zusammenhang mit der Vereinheitlichungsdebatte im Familienrecht wird hierüber intensiv gestritten. Freilich lässt sich schwer eingrenzen, was nur zeitgebundenes Familienrecht bzw. zeitgenössische Normbefolgung und was einer, wie auch immer gearteten tief verwurzelten, kulturellen Identität zugeordnet werden kann und besondere gesellschaftliche Bedeutung hat. Länderunterschiede bestehen und lassen sich erklären. Es leuchtet ein, dass – anders als die nordischen Länder – eher katholisch geprägte Länder wie Italien und Polen bislang nicht zu einer rechtlichen Anerkennung von eingetragenen Partnerschaften und zur Einführung gleichgeschlechtlicher Ehen gelangen. Auch die Verbreitung und Akzeptanz nichtehelicher Lebensgemeinschaften ist verschieden. Dass noch weitere Differenzierungen notwendig sind, zeigt Spanien mit unterschiedlichen Regeln in den einzelnen Regionen und der gemeinspanischen Zulassung der gleichgeschlechtlichen Ehe.
In Schweden herrscht heute die Auffassung vor, dass der Staat sich gegenüber den unterschiedlichen Lebensformen neutral verhalten solle. Inzwischen wird auch angenommen, dass die familienrechtlichen Normen unabhängig von der sexuellen Ausrichtung sein sollten. Dieses Prinzip der Nichteinmischung in private Lebensformen bzw. der rechtlichen Anerkennung von Vielfalt findet immer mehr Anhänger. Es bedeutet eine Abkehr von einem statusorientierten Familienrecht und öffnet – wie noch zu zeigen sein wird – den Blick auf faktische Lebensverhältnisse und den Weg zur Anerkennung der Vielfalt der Lebensformen.
Es wäre falsch, die in Europa bestehenden Unterschiede zu ignorieren. Es ist aber auffällig, dass sich in den letzten Jahrzehnten – trotz unterschiedlicher Geschwindigkeiten – mehr oder weniger ähnliche Entwicklungen hinsichtlich der Durchsetzung der Gleichberechtigung der Geschlechter, der Nichtdiskriminierung nichtehelicher Kinder sowie der Erleichterung der Ehescheidung vollzogen haben. Wenngleich schwer einzugrenzen und in den Einzelheiten umstritten, sind in der gesellschaftlichen Entwicklung Veränderungen in Bezug auf die Rollen der Geschlechter eingetreten. Soweit der Anstieg der Ehescheidungen nicht mehr so stark ist, sind die Ursachen dafür lediglich, dass auch das Heiratsalter und der Anteil der nichtehelichen Lebensgemeinschaft kontinuierlich gestiegen sind.
Die Rechtskultur auf dem europäischen Kontinent ist vielfach noch vom römischrechtlichen und kanonisch-rechtlichen Erbe geprägt. Danach spielt der jeweilige Status als ehelich oder nichtehelich eine große Rolle. Das Familienrecht des Common Law ist demgegenüber wesentlich mehr auf die bestehenden faktischen Lebensverhältnisse ausgerichtet. Insoweit findet seit einiger Zeit ein gewisser Angleichungsprozess statt, der mehrfach mit "Vom Status zur Realbeziehung" beschrieben worden ist. Nicht nur im Kindschaftsrecht, auch im Recht der Paarbeziehungen sind Gleichstellungsbemühungen in Bezug auf eheliche und nichteheliche Verhältnisse unübersehbar. Bezeichnend ist, dass das deutsche Bundesverfassungsgericht in seiner neuen Entscheidung zum besseren Zugang des nichtehelichen Vaters zum gemeinsamen Sorgerecht auch großes Gewicht auf die rechtsvergleichende Feststellung gelegt hat, dass die anderen europäischen Regelungen in dieser Hinsicht im allgemeinen weiter entwickelt waren. Es versteht sich freilich von selbst, dass bei Harmonisierungsbemühungen weniger die große Zahl von Lösungen als vielmehr ihre Qualität entscheiden sollte.
Auch das Vordringen der gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften – wenngleich in unterschiedlichen Formen – zeigt jedenfalls über die Jahrzehnte hinweg betrachtet im Großen und Ganzen einen einheitlichen Trend. Der Hauptgrund für diese Entwicklungen dürfte ein Wandel der sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse sein, der sich weitgehend ähnlich vollzieht. Der europäische Binnenmarkt mit seiner Öffnung der Grenzen und zunehmender Mobilität dürfte dies noch beschleunigen. Bei der rechtlichen Anerkennung kommen die europäischen Menschenrechte hinzu. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte bemüht sich einerseits nicht vorzupreschen, scheut sich aber durchaus nicht, dort deutlich zu werden, wo der einzelne Konventionsstaat zu sehr an überwundenen Positionen festhält. Im Übrigen haben die zahlreichen familienrechtlichen Reformen der letzt...