FGG-RG Art. 111 Abs. 1;GG Art. 3 Abs. 1 Art. 20 Abs. 3
Leitsatz
Das Beschwerdegericht muss bei Vorliegen der persönlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen einem Prozess- oder Verfahrenskostenhilfeantrag entsprechen, wenn es im Bewilligungsverfahren der Ansicht ist, dass die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde (hier zur Frage der Verfahrenseinleitung i.S.v. Art. 111 Abs. 1 Satz 1 FGG-RG durch ein Prozess- oder Verfahrenskostenhilfegesuch) gegeben sind. (Leitsatz der Redaktion)
BGH, Beschl. v. 4.5.2011 – XII ZB 69/11 (OLG Naumburg, AG Halle/Saale)
1 Gründe:
[1] I. Die Parteien streiten um Kindesunterhalt.
[2] Am 30.3.2009 hat die Klägerin beim AG Prozesskostenhilfe für eine Klage auf Zahlung von Kindesunterhalt beantragt. Dem Antrag war eine Klageschrift mit der ausdrücklichen Erklärung des Prozessbevollmächtigten der Klägerin beigefügt, die Klage solle nur unter der Bedingung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe erhoben werden. Einen Gerichtskostenvorschuss hat die Klägerin nicht geleistet. Mit Beschl. v. 31.3.2010 hat das AG der Klägerin "Prozesskostenhilfe" bewilligt und die Zustellung der Klage veranlasst.
[3] Das Amtsgericht hat der Klage teilweise stattgegeben. Das Urteil wurde der Beklagten am 2.8.2010 zugestellt.
[4] Mit beim OLG am 2.9.2010 per Telefax eingegangenem Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten hat die Beklagte "Verfahrenskostenhilfe für die beabsichtigte Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts" beantragt.
[5] Mit Beschl. v. 16.9.2010 hat das OLG den "Verfahrenskostenhilfeantrag" der Beklagten zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass trotz des bereits am 30.3.2009 gestellten Antrags der Klägerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe die Klage erst mit der am 31.3.2010 erfolgten Zustellung anhängig i.S.v. Art. 111 Abs. 1 Satz 1 FGG-RG geworden sei. Deshalb sei das ab 1.9.2009 geltende Verfahrensrecht anzuwenden. Das "Verfahrenskostenhilfegesuch" der Beklagten habe daher innerhalb der einmonatigen Beschwerdefrist des § 63 Abs. 1 FamFG beim Amtsgericht als dem nach § 64 Abs. 1 FamFG zuständigen Gericht und nicht beim OLG eingehen müssen. Die Einreichung des "Verfahrenskostenhilfeantrags" beim unzuständigen Gericht habe zur Folge, dass die Beschwerdefrist schuldhaft versäumt worden sei. Da somit auch eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht in Betracht komme, wäre eine noch einzulegende Beschwerde der Beklagten gegen die amtsgerichtliche Entscheidung unzulässig. Mangels Erfolgsaussicht des beabsichtigten Rechtsmittels könne der Beklagten daher "Verfahrenskostenhilfe" nicht gewährt werden.
[6] Mit der vom OLG im Hinblick auf die gegenteilige Auffassung des Oberlandesgerichts Celle (OLG Celle FamRZ 2010, 1101 f.) zur Frage der Verfahrenseinleitung i.S.v. Art. 111 Abs. 1 Satz 1 FGG-RG durch ein Prozess- oder Verfahrenskostenhilfegesuch zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die Beklagte ihren Antrag weiter.
[7] II. Die statthafte (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3 ZPO) und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung der angegriffenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht.
[8] Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, auch des Senats, muss das Beschwerdegericht bei Vorliegen der persönlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen einem Prozess- oder Verfahrenskostenhilfeantrag entsprechen, wenn es im Bewilligungsverfahren der Ansicht ist, dass die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde gegeben sind (vgl. Senatsbeschl. v. 17.3.2004 – XII ZB 192/02, NJW 2004, 2022; BGH, Beschl. v. 21.11.2002 – V ZB 40/02, NJW 2003, 1126, 1127 und v. 27.2.2003 – III ZB 29/02, AGS 2003, 213). In diesem Fall gebietet nämlich die in Art. 3 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG verbürgte Rechtsschutzgleichheit, die Erfolgsaussichten zu bejahen und dem Antragsteller Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe zu bewilligen. Denn das Hauptverfahren eröffnet erheblich bessere Möglichkeiten der Entwicklung und Darstellung des eigenen Rechtsstandpunktes (Senatsbeschl. v. 17.3.2004 – XII ZB 192/02, NJW 2004, 2022). Das nur einer summarischen Prüfung unterliegende Prozess- oder Verfahrenskostenhilfeverfahren hat demgegenüber nicht den Zweck, über zweifelhafte Rechtsfragen vorweg zu entscheiden (vgl. BVerfG FamRZ 2002, 665).
[9] Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass im vorliegenden Fall der Grundsatz der Meistbegünstigung zur Anwendung gelangen könnte (vgl. Senatsbeschl. v. 6.4.2011 – XII ZB 553/10, zur Veröffentlichung bestimmt).
2 Anmerkung
Nach wie vor ist ungeklärt, ob die Einreichung eines Antrags auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe, dem die noch zu erhebende Klage nur als Entwurf beigefügt wird, eine von Art. 111 Abs. 1 FGG-RG erfasste Verfahrenseinleitung darstellt. Mit der Zulassung der Rechtsbeschwerde wollte das OLG Naumburg wohl die höchstrichterliche Klärung dieser Frage herbeiführen. Dazu ist es nicht gekommen, denn das OLG hätte die Erfolgsaussicht des beabsichtigten Rechtsmittels nach Auffassung des BGH unabhängig v...