Der Deutsche Anwaltverein dankt für die Gelegenheit, zu dem Diskussionspapier zur Umsetzung des Beschlusses des BVerfGs vom 26.3.2019 (1 BvR 673/17) zur Stiefkindadoption in nichtehelichen Familien Stellung nehmen zu dürfen.
I. Lösungsvorschläge; Stabilitätskriterien
Laut Diskussionspapier kommen zwei Lösungen in Betracht, um das Ziel zu erreichen, auch Stiefkinder in nichtehelichen Lebensgemeinschaften rechtlich besserzustellen:
Lösung A: Adoption von Stiefkindern auch durch Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft.
Lösung B: Adoption von Stiefkindern und fremden Kinder auch in nichtehelichen Lebensgemeinschaften.
Der Deutsche Anwaltverein unterstützt die Lösung B des Diskussionspapiers. Das BVerfG knüpft die Zulässigkeit der Adoption an eine im Kern stabile Paarbeziehung, unabhängig davon, ob sich diese stabile Paarbeziehung in einer ehelichen Lebensgemeinschaft oder in anderen Familienformen verwirklicht. Die Lösung A bleibt hinter den Anforderungen des BVerfGs zurück. Bei Lösung A wäre eine Diskriminierung der fremden Kinder, die in einer faktischen Pflegefamilie aufwachsen, nicht ausgeschlossen, da deren Adoption durch die nichtehelich verbundene Pflegefamilie bei der Lösung A ausgeschlossen wäre.
Der Deutsche Anwaltverein hält es für erforderlich, Stabilitätskriterien zu entwickeln, die an eine adoptionswillige Paarbeziehung zu stellen sind. Dabei dürfte es nicht ausreichen, die Prüfung der Stabilität der Paarbeziehung ausschließlich auf das Tatbestandsmerkmal der Erwartung eines Eltern-Kind-Verhältnisses zu beschränken. Auch ist dem Tatbestandsmerkmal der Probezeit in § 1744 BGB, die für das Eltern-Kind-Verhältnis gilt, analog auch für das Verhältnis der Partner zueinander für die Beurteilung der Stabilität der Paarbeziehung besondere Bedeutung beizumessen. Es könnte sich anbieten, eine Mindestzeitdauer für die Paarbeziehung anzusetzen, etwa ein Jahr, bevor dieses Paar einen Adoptionsantrag stellt.
II. Rechtsverhältnis zum abgebenden leiblichen Elternteil und dessen Verwandten
Auch das Rechtsverhältnis zum abgebenden leiblichen Elternteil und dessen Verwandten sollte in den Blick genommen werden.
Nach § 1755 BGB erlischt das Verwandtschaftsverhältnis zum abgebenden Elternteil und dessen Verwandten. Nach § 1756 Abs. 2 BGB bleibt das Verwandtschaftsverhältnis zu den Verwandten des abgebenden Elternteils bestehen, wenn der abgebende Elternteil verstorben ist und dieser die elterliche Sorge hatte. Das Recht der elterlichen Sorge dürfte kein maßgebliches Abgrenzungskriterium für die Aufrechterhaltung der verwandtschaftlichen Beziehungen zu den Verwandten des abgebenden Elternteils darstellen. Das Merkmal der elterlichen Sorge sollte daher gestrichen werden. Der Grundgedanke des §§ 1756 Abs. 2 BGB sollte bewahrt bleiben, der darin besteht, dass bei einer Stiefkindadoption nach dem Tod eines Elternteils durch den Partner des überlebenden Elternteils verwandtschaftliche Beziehungen insbesondere zu den Großeltern des verstorbenen Elternteils nicht ohne Not abgebrochen werden sollten (vgl. Frank, Die Neuregelung des Adoptionsrechts, FamRZ 1998, 393 ff. (398)).
III. Volljährigenadoption
Die Entscheidung des BVerfG ist zum Recht der Minderjährigenadoption ergangen. Im Recht der Volljährigenadoption sind nur geringfügige Anpassungen notwendig, da nach § 1770 Abs. 2 BGB die bisherigen Verwandtschaftsverhältnisse bestehen bleiben. § 1772 Abs. 1 S. 1 lit. c BGB sollte dahingehend geändert werden, dass sich die Wirkungen der Annahme nach den Vorschriften über die Annahme eines Minderjährigen oder eines verwandten Minderjährigen richten, wenn:
Zitat
§ 1772 Annahme mit den Wirkungen der Minderjährigenannahme
(1) Das Familiengericht kann beim Ausspruch der Annahme eines Volljährigen auf Antrag des Annehmenden und des Anzunehmenden bestimmen, dass sich die Wirkungen der Annahme nach den Vorschriften über die Annahme eines Minderjährigen oder eines verwandten Minderjährigen richten (§§ 1754 bis 1756), wenn
[…]
c) der Annehmende das Kind seines Partners Ehegatten annimmt
[…].
Eine solche Bestimmung darf nicht getroffen werden, wenn ihr überwiegende Interessen der Eltern des Anzunehmenden entgegenstehen.
(2) Das Annahmeverhältnis kann in den Fällen des Absatzes 1 nur in sinngemäßer Anwendung der Vorschriften des § 1760 Abs. 1 bis 5 aufgehoben werden. An die Stelle der Einwilligung des Kindes tritt der Antrag des Anzunehmenden.
IV. Auswirkungen des Adoptionsrechts auf das gesetzliche Erb- und Pflichtteilsrecht; Vermeidung von Missbrauch
Die Ausweitung des Adoptionsrechts führt zu einer Erweiterung des gesetzlichen Erbrechts einschließlich des Pflichtteilsrechts der Verwandten, da die Verwandtschaft auch durch eine Adoption begründet wird. Es ist noch im Einzelnen zu prüfen, in welchem Umfange die Auswirkungen des Adoptionsrechts auf das gesetzliche Erb- und Pflichtteilsrecht einzuschränken sind. Es könnte daran gedacht werden, das gesetzliche Erb- und Pflichtteilsrecht des adoptierenden Partners auszuschließen, wenn das Adoptivkind vorverstirbt, um einem Missbrauch des Adoptionsrechts bei einem vermögenden Adoptivkind vorzubeugen. Diese Regelung entsprach dem Adoptionsrecht in der Fassung vor 1977.
DAV-Stellungnahme Nr.: 26/2019, Berlin, im Juli 2019
FF 9/2019, S. 344 - 345