Reformbedarf im Familienrecht
Einführung
Die Moderatorinnen in Berlin, Oldenburg und München, der Moderator in Ludwigslust, die Referentinnen und Referenten ebenfalls über die Bundesrepublik verteilt, zusammengeschaltet per Kamera und Mikrofon an den Bildschirmen, das war eine fast schon gewohnte Veranstaltungsform nach anderthalb Jahren Pandemie. Die 125 Teilnehmerinnen und Teilnehmer profitierten von den überaus informativen Vorträgen auf der Fachveranstaltung Familienrecht.
I. Abstammungsrecht
Rechtsanwältin Eva Becker, Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Familienrecht, bedauerte zutiefst, keine neuen Reformvorschläge des Gesetzgebers vorstellen zu können. Denn die gesellschaftliche Entwicklung macht Neuerungen im Familienrecht dringend nötig, auf fast allen Gebieten. Es gebe lediglich einen nicht veröffentlichten Entwurf, der jedoch laut Bundesjustizministerin Christine Lambrecht nicht der große Wurf sei. Und die letzte in Erinnerung gebliebene Reform – die "Ehe für alle" – sei so schnell verabschiedet worden, dass man sich offenbar gar nicht darüber klar geworden sei, was daraus für das Familienrecht eigentlich folgt. Zum Beispiel die "Mitmutterschaft", wenn ein Kind in die gleichgeschlechtliche Ehe hineingeboren wird oder ein Anfechtungsrecht nicht nur die "Mitmutter", sondern auch für die Mutter, die das Kind geboren hat. Und wäre es nicht ohnehin besser, wenn sich drei Eltern statt zwei, jedenfalls nicht nur eine Mutter oder ein Vater um ein Kind sorgt?
Diesen Fragen, die aus der Reproduktionsmedizin und neuen gesellschaftlichen Lebensformen entstehen, widmete sich Rechtsanwalt und Notar a.D. Wolfgang Schwackenberg aus Oldenburg im ersten Teil der Veranstaltung. Seit Jahren ist er damit befasst, wie ein modernes Abstammungsrecht in Zukunft neu gefasst werden könnte. Unter anderem hat Schwackenberg in der Arbeitsgruppe "Abstammung" im Justizministerium mitgearbeitet, die bereits 2017 einen mehr als 80 Seiten starken Bericht mit Reformvorschlägen vorgelegt hat. In seinem Vortrag ging er auch auf die Eizellspende und die Leihmutterschaft ein, die hierzulande verboten sind, um eine "gespaltene Mutterschaft" zu vermeiden. Dennoch müsse sich der Gesetzgeber mit dem Problem befassen, weil immer mehr Kinder mittels Leihmutterschaft im Ausland geboren würden und dann nach Deutschland kämen.
II. Neue Familienformen brauchen neue Regeln
Die Herausforderung der gleichgeschlechtlichen Ehe und die Entwicklung der Reproduktionsmedizin, so Schwackenberg, machen eine Anpassung des Abstammungsrechts erforderlich. Wenn ein Kind mit der Spende aus einer Samenbank gezeugt wurde, kann die Mutter den Spender nicht als Vater feststellen lassen. Wenn es keinen "Wunschvater" gibt, der die Vaterschaft anerkennt oder mit der Mutter verheiratet ist, besteht die Gefahr, dass das Kind vaterlos bleibt. Auch bei der gleichgeschlechtlichen Ehe oder Partnerschaft von zwei Frauen besteht die Gefahr, dass für ein Kind, das mit einer Spende aus der Samenbank gezeugt wurde, nur ein Elternteil verantwortlich sein kann, weil nach bisherigem Recht die Ehefrau der Mutter nicht automatisch die rechtliche Elternstelle einnimmt. Die nicht verheiratete Partnerin der Mutter hat keine Möglichkeit, die Elternschaft anzuerkennen. Wolfgang Schwackenberg schlug vor, dass in Zukunft die Eheschließung und auch die Anerkenntnis die zweite Elternstelle vermitteln sollen, wie es bislang schon bei Mutter und Vater geregelt ist. Begrifflich sollte die Elternschaft in einer Norm geregelt, also nicht mehr zwischen Mutter- und Vaterschaft unterschieden werden. Dann gäbe es auch keine sprachlichen Schwierigkeiten wie "Co-Mutter" oder "Mitmutter". Sowohl das Kammergericht als auch das Oberlandesgericht Celle haben unlängst dem Bundesverfassungsgericht Verfahren zu diesen Rechtsfragen zur Prüfung vorgelegt. Aber vielleicht, so resümierte Eva Becker, werde es dem Gesetzgeber doch noch gelingen, den Karlsruher Richtern mit einer Reform zuvorzukommen.
III. Kindschaftsrecht
Auch im Vortrag von Rechtsanwalt Jörg Mannel aus Frankfurt am Main ging es um die neue Vielfalt der Lebensformen. Er spielte verschiedene Varianten von Sorgerechts-, Umgangsrechts- und Kindesrechtsfällen durch. Bei der Übertragung des Sorgerechts werden Kriterien wie die allgemeine Erziehungsfähigkeit, der Kindeswille und die ausreichende Bindungstoleranz beachtet. In seiner Praxis, so Mannel, sei das Kontinuitätsprinzip häufig ausschlaggebend gewesen. Im Gerichtsverfahren oder auch im Sachverständigengutachten werde darauf geschaut, wie die Betreuung in der Vergangenheit gehandhabt wurde und dann daraus die Prognose für die Zukunft getroffen. Da stelle sich allerdings die Frage, ob die neue Familiensituation im Falle einer Trennung so wirklich wiedergegeben wird. Der Vater wolle eben nicht mehr der "Umgangspapa" am Wochenende sein, er wolle seine Kinder aufwachsen sehen und weiterhin in der Erziehung und Betreuung Verantwortung übernehmen, also im Wechsel mit der Mutter für das Kind da sein. Dazu sei er auch bereit, seine Arbeitszeiten zu reduzieren. Manche Befürworter des Wechselmodells hätten hie...