Es stellte nach herrschender Meinung vor der Gesetzesänderung wohl keinen Verfahrensfehler dar, angesichts der Corona-Pandemie von der persönlichen Anhörung eines Kindes, das das sechste Lebensjahr noch nicht vollendet hat, abzusehen. So entschied das OLG Brandenburg.
Dies halte ich angesichts der Bedeutung der Anhörung, der Normierung des § 159 FamFG in seiner Fassung ab 1.7.2021 als "Muss-Vorschrift" und der Möglichkeiten anderer Anhörungswege für äußerst bedenklich.
Die in § 159 FamFG vorgesehene persönliche Anhörung des Kindes bedeutet nämlich, dass dieses mündlich anzuhören ist, damit sich das Familiengericht einen eigenen Eindruck verschaffen kann.
Hierzu kann das Familiengericht auch moderne Kommunikationsmittel wie z.B. Skype in Anspruch nehmen, jedenfalls sofern das Kind dieses bereitwillig annimmt. Denn die moderne Videokonferenz- oder Videoanruftechnik vermittelt ein vollständiges und authentisches Bild der Beteiligten, von ihrem Verhalten, ihrer Mimik und ihrer sonstigen Körpersprache und ist damit einer Anhörung in unmittelbarer Anwesenheit des Beteiligten vergleichbar. So sieht auch Socha durch eine Videokonferenz bzw. durch einen Videoanruf die Voraussetzungen einer persönlichen Anhörung gewahrt, da dadurch die geforderte Beachtung der verbalen und nonverbalen Ebene infolge der Weiterentwicklung der Technik und der nuancenreichen Darstellung, die selbst bei Smartphones erreicht wird, gewährleistet sei. Visuelle und akustische Wahrnehmung ist gewährleistet. Ebenso sieht Krumm bei Einsatz moderner Kommunikationswege wie Skype, die von Kindern gerne angenommen werden, das Erfordernis einer persönlichen Anhörung gewahrt.
Soweit räumliche Möglichkeiten bestehen, die den Abstand gewährleisten (z.B. großer Sitzungssaal) besteht kein Anlass, auf eine Anhörung der Kinder zu verzichten, so auch das OLG München. Hier ist dann aber zur Vermeidung einer zusätzlichen Belastung durch die offizielle Umgebung insbesondere auf die Rahmenbedingungen, z.B. auf eine einladende Sitzsituation in Augenhöhe zu achten.
In Zeiten von Corona kann darüber diskutiert werden, eine Videofonieanhörung als ausreichend zu erachten, wenn die Abwesenheit des betreuenden Elternteils zur Vermeidung von Beeinflussung gewährleistet wird, z.B. Anhörung des Kindes in neutraler Umgebung durch einen AR-Richter, im Jugendamt, in einer Jugendhilfeeinrichtung etc.
Richterliche Gestaltungsfreiheit bei der Kindesanhörung bedeutet auch, dass das Familiengericht nicht an Räumlichkeiten gebunden ist. Ein Spaziergang mit dem betroffenen Kind zum gemeinsamen Gespräch ist hier auch eine denkbare Umsetzungsmöglichkeit.