Das Kind als Subjekt und nicht als Objekt des Verfahrens

I. Bedeutung der Kindesanhörung

Die Kindesanhörung ist für jedes Kindschaftsverfahren von hoher Relevanz. Sie dient neben der Gewährung rechtlichen Gehörs auch vorrangig der Sachaufklärung.[1]

Die persönliche Anhörung und das Verschaffen des persönlichen Eindrucks von Kindern sind nunmehr unabdingbare Formvoraussetzungen einer richterlichen Entscheidung. Das Beherrschen des juristischen Handwerks allein reicht an dieser Stelle nicht, zahlreiche weitere Kompetenzen sind gefragt. Die Familienrichterinnen und -richter sollten neben einer hohen Empathie auch über Spezialwissen in Pädagogik und Psychologie, insbesondere aber auch über die Fähigkeit zur Gestaltung einer kindeswohlgerechten und schonenden Anhörung verfügen.

II. Gesetzliche Ausgangslage

Kinder waren bis zum Inkrafttreten des Art. 5 des Gesetzes zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder[2] vom 16.6.2021 in der Regel ab einem Mindestalter von drei Jahren persönlich, d.h. mündlich anzuhören.[3] Mit diesem Gesetz stärkt der Gesetzgeber über das Instrument des Verfahrensrechts erheblich die Kinderrechte, insbesondere im Bereich der Kinderschutzverfahren.

Seit 1.7.2021 gilt § 159 FamFG n.F. Danach sind alle Kinder jeder Altersstufe persönlich anzuhören und das Gericht hat sich einen persönlichen Eindruck zu verschaffen. Die Begrenzung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, dass Kinder erst ab drei Jahren anzuhören sind, gilt daher nicht mehr. Die Verpflichtung gilt auch im einstweiligen Anordnungsverfahren.[4]

Die Altersbegrenzung ist – als Umsetzung des politischen Willens unter anderem nach den Missbrauchsfällen in Staufen und Lügde – nunmehr aufgehoben.

Die frühere Altersgrenze für eine zwingend notwendige Kindesanhörung von 14 Jahren hat der Gesetzgeber aufgegeben und setzt nun keine Altersgrenze mehr fest. Dies basiert auf der Erkenntnis, dass das Kind Subjekt, nicht Objekt des Verfahrens ist und dass Kinder in ihrer jeweiligen Entwicklung betreffend Reife sowie der Fähigkeit zur verbalen und nonverbalen Entwicklung individuell unterschiedlich sind.[5]

Das Ziel der Gesetzesänderung liegt auch darin, in grundrechtssensiblen Kindschaftsverfahren und vor allem in den Kinderschutzverfahren eine verfassungskonforme Handhabung durch die Richterschaft der ersten und zweiten Instanz zu gewährleisten. Dies ist im Wesentlichen gelungen.

§ 159 FamFG lautet nunmehr wie folgt:

Zitat

(1) Das Gericht hat das Kind persönlich anzuhören und sich einen persönlichen Eindruck von dem Kind zu verschaffen.

(2) Von der persönlichen Anhörung und der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks nach Absatz 1 kann das Gericht nur absehen, wenn

1. ein schwerwiegender Grund dafür vorliegt,

2. das Kind offensichtlich nicht in der Lage ist, seine Neigungen und seinen Willen kundzutun,

3. die Neigungen, Bindungen und der Wille des Kindes für die Entscheidung nicht von Bedeutung sind und eine persönliche Anhörung auch nicht aus anderen Gründen angezeigt ist oder

4. das Verfahren ausschließlich das Vermögen des Kindes betrifft und eine persönliche Anhörung nach der Art der Angelegenheit nicht angezeigt ist.

Satz 1 Nummer 3 ist in Verfahren nach den §§ 1666, 1666a des Bürgerlichen Gesetzbuchs, die die Person des Kindes betreffen, nicht anzuwenden. Das Gericht hat sich in diesen Verfahren einen persönlichen Eindruck von dem Kind auch dann zu verschaffen, wenn das Kind offensichtlich nicht in der Lage ist, seine Neigungen und seinen Willen kundzutun.

(3) Sieht das Gericht davon ab, das Kind persönlich anzuhören oder sich einen persönlichen Eindruck von dem Kind zu verschaffen, ist dies in der Endentscheidung zu begründen. Unterbleibt eine Anhörung oder die Verschaffung eines persönlichen Eindrucks allein wegen Gefahr im Verzug, ist sie unverzüglich nachzuholen.

(4) Das Kind soll über den Gegenstand, Ablauf und möglichen Ausgang des Verfahrens in einer geeigneten und seinem Alter entsprechenden Weise informiert werden, soweit nicht Nachteile für seine Entwicklung, Erziehung oder Gesundheit zu befürchten sind. Ihm ist Gelegenheit zur Äußerung zu geben. Hat das Gericht dem Kind nach § 158 einen Verfahrensbeistand bestellt soll die persönliche Anhörung und die Verschaffung eines persönlichen Eindrucks in dessen Anwesenheit stattfinden. Im Übrigen steht die Gestaltung der persönlichen Anhörung im Ermessen des Gerichts.

Die Ausnahmen des § 159 Abs. 2 FamFG sind sehr restriktiv zu bejahen.

Der BGH hat schon im Jahre 2018 vor Inkrafttreten des neuen § 159 FamFG zu Recht sehr strenge Maßstäbe an die Voraussetzungen der "schwerwiegenden Gründe" gemäß § 59 Abs. 3 S. 1 FamFG gesetzt:[6]

Zitat

3. Auch ein erst vierjähriges Kind ist in einem Umgangsrechtsverfahren grundsätzlich von dem Gericht persönlich anzuhören. Ausnahmsweise darf das Gericht von der Anhörung des Kindes aus schwerwiegenden Gründen absehen. Das ist regelmäßig der Fall, wenn die Anhörung des Kindes zu einer erheblichen Beeinträchtigung seiner körperlichen oder seelischen Gesundheit führen würde.

4. Um die Frage beant...

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