I. Unterhaltsrechtsverhältnis des minderjährigen Kindes
1. Bedarfsbemessung in Unterhaltszeiträumen vor der DT, Stand: 1.1.2022
Eine – wohl nur noch in wenigen Fällen anwendbare – Entscheidung befasst sich mit der rückwirkenden Anwendung der neuen Einkommensgruppen der DT, Stand: 1.1.2022, auf Unterhaltszeiträume vor dem 1.1.2022. Danach bemisst sich der Unterhaltsbedarf des Kindes auch dann nach den Prozentsätzen der Einkommensgruppen Nr. 11 bis 15 der Düsseldorfer Tabelle 2022, wenn das bedarfsbestimmende Einkommen für Zeiträume bis 2021 den Höchstbetrag der bis dahin einschlägigen höchsten Einkommensgruppe Nr. 10 der Düsseldorfer Tabelle überschreitet.
2. Kindesunterhalt im Wechselmodell, Leistungsunfähigkeit eines Elternteils
Der Unterhaltsbedarf bemisst sich im Fall des paritätischen Wechselmodells nach den bedarfsprägenden beiderseitigen Einkommen der Eltern, denn kein Elternteil ist von der Barunterhaltspflicht befreit. Der Kindesbedarf umfasst neben dem sich daraus ergebenden – erhöhten – Bedarf auch die Mehrkosten des Wechselmodells (vor allem Wohn- und Fahrtkosten). Dies führt dazu, dass der von den Eltern zu tragende Bedarf regelmäßig deutlich höher liegt als beim herkömmlichen Residenzmodell.
Unterschiedliche Anteile der Eltern an der Sicherstellung des Gesamtbedarfs ergeben sich nach § 1606 Abs. 3 S. 1 BGB aus deren individueller Leistungsfähigkeit. Es gilt die Kontrollberechnung, wonach die Unterhaltspflicht des jeweiligen Elternteils auf den Betrag begrenzt ist, den dieser bei alleiniger Unterhaltshaftung auf der Grundlage seines Einkommens zu zahlen hätte.
Im Fall unterhaltsrechtlich beachtlicher Leistungsunfähigkeit kann ein Elternteil nicht für den Barunterhalt eines minderjährigen, im Wechselmodell betreuten Kindes herangezogen werden. Denn zu quotieren ist auf der Grundlage des Verhältnisses der nach Abzug der Selbstbehalte verbleibenden Einkünfte der Eltern. Die Quotierung allein aufgrund des Verhältnisses der Nettoeinkünfte würde die Leistungsfähigkeit der Eltern, die sich aus dem für den Unterhalt verfügbaren Einkommen oberhalb des Selbstbehalts ergibt, nicht widerspiegeln, denn sie würde Einkommensteile in die Anteilsberechnung einbeziehen, die tatsächlich nicht für den Unterhalt zur Verfügung stehen. Der Kindesunterhalt ist in einem solchen Fall allein nach dem anrechenbaren Nettoeinkommen des leistungsfähigen Elternteils zu bestimmen.
3. Betreuung i.S.d. § 1606 Abs. 3 S. 2 BGB auch bei Erwerbstätigkeit und Mithilfe bei der Betreuung durch Dritte (Großeltern)
Der Betreuungsunterhalt wird auch dann als dem Barunterhalt gleichwertig angesehen, wenn der betreuende Elternteil erwerbstätig ist und sich deshalb der Versorgung des Kindes der Hilfe Dritter bedient. Leistungen Dritter, die der Elternteil in Anspruch nimmt, sind ihm als Betreuungsleistungen zuzurechnen. Zur Befreiung von der Barunterhaltspflicht muss lediglich ein nennenswerter Teil der Betreuung selbst wahrgenommen werden. Die Befreiung von der Barunterhaltsverpflichtung. entfällt nur bei völliger Fremdbetreuung.
Der Schwerpunkt der Betreuung und Erziehung eines Jugendlichen liegt darin, dass der Elternteil als verantwortlicher Ansprechpartner im Alltag zur Verfügung steht, den persönlichen Kontakt pflegt und damit die soziale Bindung festigt, wobei er entsprechende Hilfeleistungen selbst durchführt oder unter Beibehaltung seiner Erziehungsverantwortung organisiert.
Es kommt für die Beurteilung also stets auch auf das Alter des Kindes und seine jeweilige Lebenssituation an. Im entschiedenen Fall lebte die gemeinsame Tochter im Haus der Großeltern väterlicherseits. Der Vater hatte ein Zimmer in der Wohnung seiner Eltern und die Tochter lebte in der weiteren Wohnung im Haus der Großeltern zusammen mit der Schwester ihres Vaters in einem altersgerecht eingerichteten Zimmer. Der Vater kehrte unbestritten jeden Tag nach der Arbeit ins Haus seiner Eltern zurück und aß dort zusammen mit der Tochter und der Familie zu Abend. Mindestens einmal in der Woche leistete der Vater Fahrdienste für ein Hobby der Tochter.
4. Leistungsfähigkeit bei gesteigerter Unterhaltspflicht
Es ist ständige Rechtsprechung des BGH und der Obergerichte, an die Erwerbsobliegenheit bei gesteigerter Unterhaltspflicht hohe Anforderungen zu stellen, insbesondere dann, wenn die Sicherstellung des Mindestunterhalts in Rede steht. Dies wird in der aktuellen Rechtsprechung deutlich.
Bei erhöhter Erwerbsobliegenheit nach § 1603 Abs. 2 BGB ist eine wöchentliche Erwerbstätigkeit von 48 Stunden auch bei einer täglichen Fahrzeit von insgesamt 70 Minuten nicht unzumutbar. Wird wegen unterhaltsrechtlich vorwerfbarer Verletzung der Erwerbsobliegenheit fiktives Einkommen zugerechnet, ist auch bei einer Verpflichtung zum Mindestunterhalt eine Pauschale von 5 % vom Nettoeinkommen als mit einer Erwerbstätigkeit regelmäßig verbundener beruflicher Aufwand abzuziehen. Sofern ein als Handwerker tätiger Unterhaltspflichtiger, dem verletzungsbedingt Arbeitsunfähigkeit bescheinigt worden ist, keine konkreten Angaben zu d...