Heribert Schüller
Einem dummen Witz zufolge ist der 2. Januar im öffentlichen Dienst der schwerste Tag des Jahres, da morgens alle vier Rädchen des Datumstempels gedreht werden müssen. Während ich die angebliche Besonderheit dieses Tages angesichts von Pebb§y-Pensen und kw-Stellen sonst stets ignoriert hatte, begab ich mich am 2. Januar 2008 mit durchaus bangen Gefühlen ins Gericht, da ich fürchtete, große Stapel von Abänderungsklagen all derer vorzufinden, die ich in 29 Familienrichterjahren zur Zahlung nachehelichen Unterhalts verurteilt habe. Es lag aber nur ein Neueingang vor, und zwar ein normaler Scheidungsantrag. Auch bis jetzt ist der große Ansturm von Klagen nach § 36 Nr. 1 EGZPO zu meiner Verwunderung ausgeblieben. Möglicherweise hat die Darstellung der Reform in den Medien in vielen Fällen zu einer außergerichtlichen Einigung geführt.
Gilt also für 2008 trotz der Unterhaltsreform: Business as usual? Manch einer mag das so sehen. Ein Anwalt berichtete mir, bei einem Termin im ländlichen Norddeutschland habe ihm die Richterin unverblümt erklärt, der Grundsatz der Eigenverantwortung sei seit 1977 nicht beachtet worden und werde folglich auch künftig nicht beachtet werden. Es bleibt zu hoffen, dass dies nicht die Zustimmung des zuständigen OLG finden wird: Wenn der Gesetzgeber gezielt eine Neuregelung will, wird das der Richter nicht einfach übergehen dürfen.
Es fragt sich nur: Was wollte der Gesetzgeber? Gewiss nicht vorrangig das, was die Politikerinnen und Politiker am plakativsten hervorgehoben haben, nämlich den Unterhaltsvorrang des minderjährigen Kindes. Er ist eine bloße Fiktion, und folglich wird hierüber auch nicht gestritten. Keinem Kind geht es besser, wenn ich ihm das Geld gebe, das ich seiner Mutter – pardon: seinem betreuenden Elternteil – wegnehme; und am Ende macht die ARGE ohnehin alle Bedarfsgemeinschaften gleich. Kern der Reform ist vielmehr die Einschränkung des nachehelichen Unterhalts "an allen Ecken und Enden", und sowohl das BVerfG als auch der BGH haben diesem Ziel im Jahre 2007 bereits vorab ihren Segen gegeben.
Verblüffend ist die Akzeptanz, die dieses Gemeinschaftswerk von Gesetzgebung und Rechtsprechung zu finden scheint. Nachdem 30 Jahre lang die Furcht vor dem "pralinéfressenden Pelztierchen" umging, leuchtet die BGH-Formel vom fehlenden ehebedingten Nachteil offenbar selbst denjenigen "Exen" ein, die bislang auf die Lebensstandardsgarantie gepocht haben. Noch nie waren Vergleichsgespräche so locker wie seit Jahresbeginn. Meist gehen die Meinungen nur über die Frage auseinander, wie lange noch Unterhalt gezahlt werden soll. Schlägt man als Richter einen Mittelwert vor, so ist der Vergleich meist schon protokollierungsreif.
Schwieriger, zumindest in der Theorie, ist die Frage, ob und wie lange Betreuungsunterhalt über das 3. Lebensjahr des Kindes hinaus geschuldet wird. Da tatsächliche Streitfragen nicht schon im Bewilligungsverfahren geklärt werden sollen, wird man PKH selten versagen können, wenn eine gesteigerte Betreuungsbedürftigkeit des Kindes nachvollziehbar vorgetragen wird. In der Verhandlung gewinnt man allerdings schnell den Eindruck, dass auch seitens der betreuenden Elternteile Bereitschaft besteht, den Paradigmenwechsel des Gesetzgebers mitzumachen. Nach meinem Eindruck ist die Zahl streitiger Entscheidungen über den Betreuungsunterhalt gesunken. Eine wesentliche Rolle mag dabei die Unsicherheit spielen.
Streitfragen werden naturgemäß bleiben und beantwortet werden müssen, z.B. die wichtige Frage, ob der Krankheitsunterhalt billigerweise befristet werden kann oder nicht. Wie immer werden hier zunächst die Familienrichterinnen und Familienrichter "an der Front" nach Lösungswegen suchen müssen. Um mit Gerhard Schröder zu sprechen: "Wir schaffen das!" Da drückt uns das unsägliche Cochemer Sofortterminierungsgebot des § 50e FGG n.F. schon mehr.
Heribert Schüller, Richter am Amtsgericht, Bergisch Gladbach