I. Einleitung
Der Gesetzgeber hat sich beim Zugewinn für eine "holzschnitzartige" Abrechnungsstruktur entschieden. Die vermögensrechtliche Entwicklung in der Ehe wird dem Gericht nicht wie in einem Dokumentarfilm dargestellt. Vielmehr werden Einzelaufnahmen bezogen auf Stichtage unterbreitet. Bei diesem Abspann waren bisher nur drei Zeitpunkte maßgebend:
– das Vermögen bei Eheschließung, § 1374 Abs. 1 BGB,
– der privilegierte Vermögenserwerb gem. § 1374 Abs. 2 BGB,
– das Endvermögen zum Zeitpunkt der Rechtshängigkeit des Scheidungsantrages oder des Antrages auf vorzeitigen Zugewinnausgleich (§§ 1378, 1384, 1387 BGB).
Mit Ausnahme der Fälle des § 1375 BGB (illoyale Vermögensverfügungen) bzw. § 1380 BGB (Zuwendungen der Ehegatten untereinander während der Ehe) waren und sind zwischenzeitliche "Auf’s und Ab’s" in der Vermögensbilanz unerheblich.
Die Novelle zum Zugewinnausgleichsrecht hat faktisch nunmehr einen weiteren Stichtag nämlich den der Trennung (§ 1379 Abs. 2 BGB) eingeführt. Noch sehr lange werden sich die Gerichte mit der Frage beschäftigen müssen, wann dieser Zeitpunkt tatsächlich vorliegt und ob gerade diese Ergänzung ein besonders gelungener Einfall des Gesetzgebers war. Fakt ist jedenfalls, dass negative Vermögensveränderungen zwischen Trennung und Scheidung im Zweifel als illoyale Handlungen eingestuft werden (vgl. § 1375 Abs. 2 BGB). Zumindest in diesem Zeitfenster wird die Vermögensauseinandersetzung in einer Dokumentation über die einzelnen finanziellen Vermögensbewegungen ausarten.
II. Die Finanzkrise
Der September scheint ein problematischer Monat für Zugewinnausgleichsrechtler zu sein. Man denke nur an den 11.9.2001 oder an den 15.9.2008 (zur Erinnerung: an diesem Tage trat die Insolvenz der Bank Lehman Brothers ein). Dieser "Crash" gab das Startsignal für die Finanzkrise mit all ihren bekannten Aus- und Nachwirkungen. Erneut hat dies deutlich gemacht, wie anfällig eine Zugewinnausgleichsberechnung bei volatilen Vermögenswerten ist, sofern strikt auf das Stichtagsprinzip abgestellt wird. Dabei hat die Gesetzesnovelle nicht etwa, wie man meinen könnte, das grundlegende Problem ausgelöst. Das Zeitfenster ist nur zu Lasten des Ausgleichsverpflichteten nach vorne verlagert worden. Das soll anhand von Fallbeispielen
– zum alten Recht (1.)
– zum neuen Recht (2.)
– zu Mischkonstellationen (3.)
aufgezeigt werden.
1. Bisherige Rechtslage, Fallgestaltung mit Lösung nur nach altem Recht
Romeo und Julia haben sich am 24.12.2005 getrennt. Das Scheidungsverfahren wird am 3.1.2007 rechtshängig. Zu diesem Zeitpunkt verfügt Romeo über ein hoch spekulatives Aktiendepot von 150.000 EUR. Die Ehe wird am 15.12.2007 rechtskräftig geschieden. Der Wert des Depots ist zu diesem Zeitpunkt auf 200.000 EUR gestiegen. Romeo verfügt über ein Anfangsvermögen von 50.000 EUR. Am 14.9.2008 wird von Julia der Zugewinnausgleich anhängig gemacht. Die Entscheidung des Gerichts zum Zugewinn steht für den 30.6.2009 an. Der Wert des hoch spekulativen Aktiendepots beträgt nunmehr aber 0 EUR. Alle Aktien sind wertlos – ohne Aussicht auf Besserung.
Fallabwandlung: Bereits am 15.12.2007 betrug der Wert des Depots 0 EUR.
a) Bewertung eines Depots
Vorab stellt sich die Frage, wie das Aktiendepot zum Stichtag der Rechtshängigkeit des Scheidungsverfahrens zu bewerten ist. Bergschneider hat einmal die Ansicht vertreten, dass der Wert des Aktiendepots mit dem "wahren Wert" anzusetzen sei. Im Auge hatte er hierbei wohl die Rechtsprechung des BGH zur Bewertung von Grundstücken, die unabhängig von Vermögensabschlägen sozusagen einen fiktiven, dem Grundstück permanent innewohnenden Wert beimessen will. Abschläge müssen demnach unberücksichtigt bleiben, solange sie nicht auf Dauer angelegt sind. Solche Abschläge sind z.B. angesichts der hohen Zinsen in den 80er-Jahren gemacht worden. Sie finden sich im Hinblick auf die angespannte Konjunkturlage jetzt erneut zunehmend in Sachverständigengutachten. Sofern es sich jedoch nur um eine vorübergehende konjunkturelle "Delle" handelt, sind auch diese nach der BGH-Rechtsprechung für die Zukunft bedeutungslos. Bei den Einfamilienhäusern muss vielmehr der "wahre Wert" zugrunde gelegt werden, und dies ist eben regelmäßig der Sachwert. Ob diese Rechtsprechung zur Immobilienbewertung heutzutage noch haltbar ist, sei dahingestellt. Mit gutem Grund ist die ganz überwiegende Ansicht in der Literatur der Auffassung, dass es jedenfalls bei Aktien auf den Kurswert genau zum Stichtag ankommt. Jede andere Betrachtung, insbesondere eine solche nach dem "wahren Wert", würde demgegenüber eine praktikable Zugewinnausgleichsberechnung unmöglich machen. Wenn in einem Aktiendepot jeweils nur eine Aktie von verschiedenen Unternehmen gehalten wird, müsste man nämlich ansonsten, um den "wahren Wert" zu ermitteln, letztlich ein Gutachten über den Firmenwert der einzelnen Gesellschaften einholen. Abgesehen davon, dass niemand den wahren Wert großer Unternehmen wissenschaftlich jemals exakt...