Die aufgeworfenen Fragen und die bisherigen Erörterungen zeigen, dass sich das eine nicht vom anderen trennen lässt, eine belastbare Antwort vielmehr nur unter Berücksichtigung der Komplexität der Problematik möglich ist. Gegenstand der Belastbarkeitsprüfung ist das Ergebnis des BGH, dass es sich bei den Kindergartenbeiträgen und vergleichbaren Aufwendungen um Mehrbedarf des Kindes handelt. Pädagogisch ist sicher richtig, dass beim Besuch einer kindgerechten Einrichtung dessen erzieherischer Zweck im Vordergrund steht. Die Frage ist aber doch, ob dies auch für das Unterhaltsrecht die zutreffende, weil maßgebliche Sichtweise ist. Denn jede Art von Fremdbetreuung schafft unabhängig von ihrem primären Zweck eben auch Freiraum für eine Erwerbstätigkeit des betreuenden Elternteils.
I. "Einrichtung"
Setzt "Einrichtung" i.S.d. BGH eine Institutionalisierung der Kinderbetreuung voraus, oder reicht jede Art von Fremdbetreuung aus?
Man wird jedenfalls grundsätzlich davon ausgehen können, dass nach der Vorstellung des BGH "öffentliche Betreuungseinrichtungen wie Kindergärten, Kindertagesstätten und Kinderhorte" dem Anforderungsprofil entsprechen. Öffentlich dürfte dabei nicht als öffentlich-rechtlich betriebene, sondern als öffentlich-rechtlich anerkannte Einrichtung zu verstehen sein. Geht man davon aus, dass der BGH wegen der Sachnähe zum Sozialrecht auch den Begriff "Einrichtung" in dessen Sinne versteht, dann sind wegen der Unterscheidung zwischen "Tagespflegeperson" und "Einrichtung" in §§ 43, 23, 54 SGB VIII "Tagespflegepersonen" mit behördlicher Erlaubnis und erst recht Tagesmütter oder sonstige private Betreuungspersonen gerade keine Einrichtungen i.S.d. SGB VIII, das ausdrücklich zwischen "Tageseinrichtungen" und "Tagespflegepersonen" unterscheidet (§ 22 Abs. 1 S. 1, 2 SGB VIII; ebenso § 1 Abs. 1–5, 7 KiTaG).
Alle anderen Arten von Fremdbetreuung, die nicht in einer Einrichtung geleistet wird, würden danach nicht unter die Begriffsbestimmung des BGH fallen, und die hierfür anfallenden Kosten wären jedenfalls kein Mehrbedarf des Kindes, weil sie nach ihrem vornehmlichen Zweck der Beaufsichtigung der Kinder und nicht ihrer Erziehung dienen würden. Doch läge dem ein zu enges Verständnis von "Einrichtung" zugrunde: Auch "Tagespflegepersonen" (§ 43 Abs. 2 S. 2 Nr. 1, Abs. 3 S. 6 SGB VIII), die die "Kindertagespflege … in ihrem Haushalt oder im Haushalt des Personensorgeberechtigten [leisten]" (§ 22 Abs. 1 S. 2 SGB VIII), dürfen diese nur dann mit Genehmigung des Jugendamts erbringen, wenn sie über "Sachkompetenz" und "über vertiefte Kenntnisse der Kindertagespflege verfügen, die sie in qualifizierten Lehrgängen erworben oder in anderer Weise nachgewiesen haben" (§ 43 Abs. 2 S. 3 SGB VIII). "Kindertagespflege" geht damit über die reine Betreuung weit hinaus: Sie soll "die Entwicklung des Kindes zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit fördern, die Erziehung und Bildung in der Familie unterstützen und ergänzen" und – was als im vorliegenden Zusammenhang gleichgewichtiges Ziel hervorzuheben ist – "den Eltern dabei helfen, Erwerbstätigkeit und Kindererziehung miteinander vereinbaren zu können" (§ 22 Abs. 2 SGB VIII). Der Förderungsauftrag des § 22 Abs. 2 Nr. 1 SGB VIII "umfasst Erziehung, Bildung und Betreuung des Kindes und bezieht sich auf die soziale, emotionale, körperliche und geistige Entwicklung des Kindes" (§ 22 Abs. 3 S. 1 SGB VIII), "schließt die Vermittlung orientierender Werte und Regeln ein" (§ 22 Abs. 3 S. 2 SGB VIII) und "soll sich am Alter und Entwicklungsstand, den sprachlichen und sonstigen Fähigkeiten, der Lebenssituation sowie den Interessen und Bedürfnissen des einzelnen Kindes orientieren und seine ethnische Herkunft berücksichtigen" (§ 22 Abs. 3 S. 3 SGB VIII).
"Tagespflegepersonen" in diesem Sinne sind jedoch nur solche Personen, denen die Erlaubnis nach § 43 SGB VIII erteilt worden ist. Dies schließt zwar die Kindertagespflege durch andere Personen – Tagesmütter, Bekannte, Verwandte – nicht aus, die ein oder mehrere Kinder weniger als 15 Wochenstunden betreuen (§ 43 Abs. 1 SGB VIII), doch entfallen für diese die gesetzlichen Qualitätsanforderungen, und es besteht kein Anspruch auf öffentliche Geldleistungen nach § 23 SGB VIII. Gleichwohl besteht auch in diesen Fällen die Betreuung nicht lediglich in der "Verwahrung" des Kindes, sondern auch in seiner Förderung und Erziehung, sodass sich auch für sie die Grundfrage nach der Erheblichkeit der Zwecksetzung – Erziehung oder Ermöglichen einer Erwerbstätigkeit – stellt.
II. "Erzieherischer Zweck"
1. Traditionelles "Altersphasenmodell"
Bis zum 31.12.2007 ging die Rechtsprechung unter der Geltung des traditionellen "Altersphasenmodells" davon aus, dass bis z...