Klaus Schnitzler
Es müssen paradiesische Zeiten gewesen sein, als sich Anwälte und Richter strikt an das 0/8/15-Modell beim Betreuungsunterhalt gehalten haben. In Deutschland herrschte Rechtssicherheit. Bis zum Alter des Kindes von 8 Jahren brauchte sich keine Frau um Arbeit zu bemühen, sie konnte sich ausschließlich dem Wohl des Kindes widmen. Ab 8 Jahren war eine teilweise Erwerbsobliegenheit bis 15 Jahren geboten, ab einem Alter des zu betreuenden Kindes von 15 Jahren volle Erwerbsobliegenheit. Der BGH hat dieses Modell gebilligt, betonte allerdings immer die Notwendigkeit einer Einzelfallregelung. Wenn der betreuende Elternteil, im Regelfall die Ehefrau, nach diesem strikten Altersphasenmodell partout arbeiten wollte, wurde das Einkommen als überobligatorisch bezeichnet und es blieb nur ein kümmerlicher Rest übrig, der in die Unterhaltsberechnung eingestellt wurde.
Ab 1.1.2008 ist es mit dieser Glückseligkeit vorbei. Die Unterhaltsrechtsreform 2007/2008 hat das Dogma von der Unfehlbarkeit richterlicher Orientierungslinien, genannt Leitlinien der Oberlandesgerichte, aufgebrochen und dafür gesorgt, dass der einzelne Fall unter Berücksichtigung vieler Faktoren und Kriterien exakter beurteilt wird. Wie sieht es mit der Betreuung vor Ort im Kindergarten oder der Grundschule aus? Gibt es eine Volltagsbetreuung?
Das erste Urteil des BGH zum Betreuungsunterhalt vom 18.7.2008 (zu § 1615l BGB) ist vielfach als Entscheidung verstanden worden, die ein modifiziertes Altersphasenmodell mit gewissen Pauschalierungen, z.B. nach dem Alter des Kindes, möglich sein lassen wollte.
Die folgenden Entscheidungen des BGH zum nachehelichen Unterhalt (§ 1570 BGB) vom 18.3.2009, 6.5.2009 und 17.6.2009 enthielten aber eindeutige Klarstellungen, dass eine altersabhängige Verlängerung des Betreuungsunterhalts nach dem Willen des Gesetzgebers nicht mehr haltbar sei (vgl. Hahne, FF 2009, 5/6).
Die meisten Oberlandesgerichte haben sich bei den Leitlinien weitgehend zurückgenommen und die entsprechenden Vorgaben des BGH beachtet (17.1 der versch. Leitlinien). Die ausschließliche Fokussierung auf das Kriterium Alter war ein Fehler, der zu Recht korrigiert worden ist.
Wenn man sich die Entwicklung der Leitlinien anschaut, waren diese aber immer ein Hilfsmittel zur Berechnung des angemessenen Unterhalts im Einzelfall und sie sollten die Unterhaltsberechnung des Familienrichters I. Instanz nicht ersetzen (vgl. z.B. Kalthoener/Büttner, 5. Aufl. 1993, Rn 2). Sie wurden verstanden als Hilfsmittel zur Ausfüllung des unbestimmten Rechtsbegriffs „angemessener Unterhalt“. In diesem Sinne hatte auch der BGH diese Leitlinien als im tatrichterlichen Ermessen liegend gebilligt.
Problematisch wurde lediglich in den letzten Jahren vor der Reform, dass die Leitlinien zunehmend schematisch, bezogen auf das Alter, angewendet wurden, so dass uns Anwälten keine Möglichkeit gegeben wurde, darüber hinausgehende Kriterien zu erörtern.
Insofern war die Verfestigung der Leitlinien beim Betreuungsunterhalt ausschließlich auf das Alter auch der Grund, warum der Gesetzgeber bei der Unterhaltsrechtsreform dann eine Abänderung durchgeführt hat.
Dies hat für den Anwalt im Familienrecht zur Konsequenz, dass im Einzelfall umfangreich vorgetragen werden muss. Dies gilt in gleichem Maße für die neue zentrale Befristungsvorschrift des § 1578b BGB. Hier sind Erörterungen zum Lebenslauf der beteiligten Eheleute unabdingbar, was natürlich die Prognose einer Entscheidung außerordentlich schwierig macht. Einzelfallentscheidungen waren und sind die Regel bei § 1579 BGB (Verwirkung aus Billigkeitsgründen).
Im Ergebnis lässt sich deshalb feststellen, dass der Einzelfall deutlicher als bisher in den Blick genommen wird. Dies ist vielleicht komplizierter, allerdings auch gerechter. Und das ist auch gut so.