BGB § 1601 § 1610 § 1611 § 1615l; BAföG § 36 § 37; ZPO § 265
Leitsatz
Der Unterhaltsberechtigte verliert den Ausbildungsunterhaltsanspruch gegenüber seinen Eltern nicht deshalb, weil er infolge einer Schwangerschaft und der anschließenden Kindesbetreuung seine Ausbildung verzögert beginnt. Das gilt jedenfalls insoweit, als der Unterhaltsberechtigte seine Ausbildung nach Vollendung des dritten Lebensjahres des Kindes – gegebenenfalls unter zusätzlicher Berücksichtigung einer angemessenen Übergangszeit – aufnimmt.
BGH, Urt. v. 29.6.2011 – XII ZR 127/09 (OLG Frankfurt, AG Bensheim)
Anmerkung
Anm. d. Red.: Die Entscheidung ist abgedruckt in NJW 2011, 2884 m. Anm. Born.
2 Anmerkung
Die Entscheidung befasst sich mit der Unterhaltspflicht der Eltern gegenüber einem volljährigen Kind, das aufgrund seiner Schwangerschaft und der anschließenden Betreuung des (Enkel-)Kindes seine Ausbildung nur mit zeitlicher Verzögerung absolvieren kann. Sie enthält aber auch wichtige Hinweise zur Ausgestaltung des Ausbildungsunterhaltes.
Prüfungspunkte beim Unterhalt des volljährigen Kindes
Macht ein volljähriges Kind Unterhaltsansprüche geltend, so sind folgende Fragen von Bedeutung:
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Ist eine fortbestehende Unterhaltsbedürftigkeit des anspruchstellenden Kindes gegeben? |
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Wird eine begabungsbezogene, angemessene Erstausbildung angestrebt oder liegt eine nicht zu unterstützende Zweitausbildung vor? |
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Genügt das Kind seinen unterhaltsrechtlichen Obliegenheiten? |
Bei der Unterhaltsverpflichtung zur Finanzierung einer bestimmten Ausbildung muss aber auch die Zumutbarkeit der Belastung für den Unterhaltspflichtigen im Rahmen seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit mit berücksichtigt werden. Der BGH verweist dabei einerseits auf den Wegfall der mit der Ausbildung einhergehenden und dem Unterhaltspflichtigen zukommenden Zuwendungen, andererseits auf die Tatsache, dass es sich um die erste Ausbildung des Kindes handelt, die der unterhaltspflichtige Elternteil zu finanzieren hat; zudem auf die vergleichsweise niedrigen Beträge, die nur für einen relativ kurzen Zeitraum zu zahlen sind.
Bei der Zumutbarkeitsbewertung sind aber nicht nur die Belange des unterhaltspflichtigen Elternteils, sondern auch die schutzwürdigen Interessen anderer Familienmitglieder – also auch der Geschwister – von Bedeutung.
Unterhaltsrechtliches Gegenseitigkeitsverhältnis
Dabei stehen Unterhaltspflicht und Unterhaltsanspruch in einem Gegenseitigkeitsverhältnis. Während die Eltern eine Berufsausbildung ermöglichen müssen, trifft das unterhaltsberechtigte Kind die Obliegenheit, diese Ausbildung mit Fleiß und der gebotenen Zielstrebigkeit in angemessener und üblicher Zeit durchzuführen und erfolgreich abzuschließen.
Zwar müssen die Eltern nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) Verzögerungen der Ausbildungszeit hinnehmen, die auf ein vorübergehendes leichteres Versagen des Kindes zurückzuführen sind. Verletzt das Kind aber nachhaltig seine Obliegenheit, seine Ausbildung planvoll und zielstrebig aufzunehmen und durchzuführen, büßt es seinen Unterhaltsanspruch ein und muss sich darauf verweisen lassen, seinen Lebensunterhalt durch eigene Erwerbstätigkeit selbst zu verdienen.
Zeitpunkt des Ausbildungsbeginns
Auch der Zeitpunkt der Aufnahme der Ausbildung ist von Bedeutung. Grundsätzlich muss das Kind seine Ausbildung in angemessener Zeit aufnehmen. Zwar ist einem jungen Menschen eine gewisse Orientierungsphase zuzugestehen, deren Dauer von Fall zu Fall unterschiedlich ist und sich jeweils nach Alter, Entwicklungsstand und den gesamten Lebensumständen des Auszubildenden richtet.
Es gibt jedoch keine feste Altersgrenze für die Aufnahme einer Ausbildung, ab deren Erreichen der Anspruch auf Ausbildungsunterhalt entfällt. Die Frage, bis wann es dem Unterhaltsberechtigten obliegt, seine Ausbildung aufzunehmen, richtet sich vielmehr nach den Umständen des Einzelfalls. Allerdings haben sowohl der zeitliche Abstand zum Schulabschluss als auch die erreichte Eigenständigkeit der Lebensstellung des Kindes Bedeutung. Verstärkt tritt an die Stelle der Elternverantwortung die Eigenverantwortung für seinen Berufs- und Lebensweg. Eine lange Verzögerung kann selbst bei noch fehlender Berufsausbildung zum Wegfall des Ausbildungsanspruchs führen. Das volljährige Kind muss dann seinen Lebensunterhalt mit ungelernten Tätigkeiten oder aufgrund sonstiger Begabung und Fertigkeiten verdienen.
§ 1610 Abs. 2 BGB mutet den Eltern nicht zu, sich gegebenenfalls nach Ablauf mehrerer Jahre, in denen sie nach den schulischen Ergebnissen und dem bisherigen Werdegang des Kindes nicht mehr mit der Nachholung der Hochschulreife und der Aufnahme eines Studiums rechnen mussten, einem Ausbildungsanspruch des Kindes ausgesetzt zu sehen. Eine verspätete Aufnahme einer – an sich angemessenen – Ausbildung durch das Kind kann daher einem Unterhaltsanspruch entgegenstehen.
Der BGH verweist in diesem Zusammenhang auch darauf, dass dann die Unterhaltsverpflichtung aufgrund der Verzögerungen u.U. in Zeiträume fällt, in denen steuerliche Erleichterungen, Ki...