"Das Familienrecht spiegelt den Wandel familiärer Lebensweisen – Seine nicht enden wollende Reformbedürftigkeit ist damit vorprogrammiert" – so ist ein Interview mit der Verfassungsrichterin Hohmann-Dennhardt betitelt. Wenn ehebedingte Nachteile identifiziert werden sollen, sind also die Folgen des sozialen Wandels der Lebensweisen und der Lebensläufe zu betrachten – vor allem von Frauen, aber auch von Männern; hier sind wir Zeugen eines epochalen Umbruchs.
Der Begriff des sozialen Wandels verweist auf eine sozial-ökonomische Periodisierung der modernen Gesellschaft. Demnach ist in den westlichen Ländern die späte Industriegesellschaft von der post-industriellen Gesellschaft abgelöst worden. Für Deutschland wird dieser Übergang etwa für die 1970er Jahre angesetzt – ungeachtet der Tatsache, dass es noch industrielle Produktion wie auch von der Industriegesellschaft geprägte Lebensformen gibt. Für Westdeutschland gilt, dass die Hochphase der industriellen Gesellschaft in den 1950er/1960er Jahren zugleich die Wachstums- und Wohlstandsphase war; die Älteren neigen daher häufig dazu, im Rückblick die Lebensbedingungen dieser Zeit zu idealisieren.
Der wachsende Wohlstand war jedoch die Grundlage dafür, dass überhaupt die sog. Familienernährerehe zur in allen sozialen Schichten verbreiteten Lebensform wurde und sich als Norm durchsetzte, und zwar nicht nur in den Mittelschichten, sondern auch in der Arbeiterschaft. Unterstützt wurde das Bewusstsein, dass dies die "richtige" Lebensform sei, durch Regelungen und Sozialleistungen in verschiedenen Politikfeldern. Für diese Wirkung der Bildungs-, Familien-, Steuer- und Sozialpolitik (sowie der Tarifpolitik) für das biographische Handeln der Individuen – und die sich damit herstellenden überindividuellen Lebenslaufmuster – hat sich der Begriff Lebenslaufpolitik durchgesetzt.
Als Indikatoren für die institutionelle Strukturierung des männlichen Erwerbsverlaufs – also für die Lebenslaufpolitik der industriegesellschaftlichen Formation (Bundesrepublik 1950er-1980er Jahre) – können gelten:
- Die Förderung von Erwerbskontinuität. Es gibt ausreichende Geldleistungen (mit Familienzuschlag) zur Überbrückung von Erwerbsunterbrechungen.
- Die Lebensstandardsicherung. Lebenslaufpolitik dieser Zeit ist ausgelegt für die erwerbsbezogene Lebensführung des männlichen Arbeitnehmers und seiner Familie; dazu gehört, dass Einkommen und Arbeitsplatzsicherheit sowie Lohnersatzleistungen ab dem mittleren Lebensalter steigen.
- Die komplementäre Arbeitsteilung der Geschlechter. Die Leistungstypik der Sozialversicherungen und die Steuerpolitik reproduzieren und sichern das Familienmodell der Ernährerehe.
- Lebenszeit ist Arbeitszeit. Lebenslaufpolitik ist ausgelegt für eine zeitliche Relation der Phasen Ausbildung – Erwerbsarbeit – Rente im Verhältnis 15 – 45 – 15 Jahre.
- Politikzentrierung. Lebenslaufpolitik unterstellt das Individuum als nur nachvollziehenden Akteur der sozial- und familien- sowie tarifpolitischen Regelungen.
Wie an dem Aspekt der Lebensstandardsicherung erkennbar wird, strukturieren sich Lebensläufe – trotz der offensichtlichen Polarisierung in männliche und weibliche – immer sowohl in der Dimension der Arbeit wie in der Dimension der privaten Lebensführung! Auch mit dem männlichen Muster ist kein reiner Erwerbsverlauf, sondern wirklich ein Lebenslauf benannt. Dasselbe gilt für den traditionellen weiblichen Lebenslauf, der keineswegs als Hausfrauenleben "pur" gelten kann, vielmehr gekennzeichnet ist durch die Verbindung von Subsistenz- und Hausarbeit mit meist diskontinuierlicher Erwerbsarbeit.