Diese Entwicklungen sind als die kulturellen und als die institutionellen Grundlagen der post-industriellen Auffassung anzusehen, dass eine lebenslange materielle Sicherung aufgrund einer einmal eingegangenen Ehe anachronistisch sei. Die Fähigkeit, sich aktiv und selbstständig auf dem Arbeitsmarkt zu "bewegen", wird nun auch von Frauen erwartet.
Diese Konstellation steht jedoch in einem historischen Kontext. Die skizzierte Auffassung, die die Lebenszeit von Frauen in Beziehung sowohl zum Beruf wie – inzwischen in nachgeordneter Weise – zu familialen Aufgaben setzt, hat sich erst in den letzten zwanzig bis dreißig Jahren verbreitet; sie ist heute Mehrheitsauffassung – allerdings nur der Mehrheit der in dieser Zeit erwachsen gewordenen Männer und Frauen. Eine entsprechende Lebensführung wird auch nur von den Jüngeren verlangt. Die vor den 1960er Jahren Geborenen haben diesen Wandel zwar miterlebt und tragen ihn zum Teil auch mit, aber ihre biographischen Entscheidungen im jungen Erwachsenenalter folgten meist den früheren Leitbildern und institutionellen Vorgaben.
Es gibt nun zwei Möglichkeiten, die "ehebedingten Nachteile" bei einer Scheidung zu rekonstruieren: nach dem früheren und nach dem aktuell gültigen Lebenslaufmodell – je nachdem, welches kulturelle Muster von Ehe und Familie für die Beteiligten handlungsleitend war. Zunächst ist es nahe liegend zu sagen: selbstverständlich nach dem früher geltenden, wenn es denn die "Geschäftsgrundlage" des Paares gewesen ist. Was spricht für die Bewertung der ehebedingten Nachteile nach dem alten – objektiv überholten – weiblichen Lebenslaufmodell? Aus der individuellen Sicht spricht dafür der Vertrauensschutz (nicht im engeren juristischen Sinne), also die Berücksichtigung der kulturellen und institutionellen Rahmenbedingungen der je individuellen Entscheidungen. Danach würde eine Unterhaltszahlung grundsätzlich nicht befristet, wenn die Ehe vor etwa 1985 eingegangen wurde. Den Urteilsbegründungen der letzten Jahre zufolge verfahren die Gerichte bei "Alt-Ehen" in dieser Weise. Auch aus übergeordneter – und theoretischer – Sicht gibt es starke Argumente dafür. Wenn man die kulturellen Rahmenbedingungen zum Zeitpunkt der Heirat ignoriert, würde die strukturelle Chancenungleichheit der Geschlechter ratifiziert und fortgesetzt.
Aber was spricht dagegen? Es entsteht ein Gerechtigkeitsproblem zwischen den Generationen. Die zurzeit verheirateten Frauen würden die neue Unterhaltsregelung wohl eher als legitim ansehen, wenn sie schnell durchgesetzt wird. Denn berufliche, wirtschaftliche Nachteile durch die Ehe entstehen auch für die jüngeren Frauen; sie könnten bei einer Scheidung jedoch nur mit einer engeren Auslegung rechnen, was diese Nachteile angeht. Mit einer schnelleren Akzeptanz und Anwendung der neuen Rechtslage, also z.B. mit einer häufigeren Befristung von Unterhaltsleistungen könnte vermieden werden, dass ältere Frauengenerationen privilegiert werden.
Zudem steht den Jüngeren die Option der Hausfrauenehe gar nicht mehr offen; die eben nur kurz benannten arbeitsmarkt- und sozialpolitischen Diskurse zum "adult worker" laufen darauf hinaus, dass jedes Individuum – weitgehend ungeachtet des Geschlechts – für den Lebensunterhalt und die soziale Absicherung selbst verantwortlich ist – also erwerbstätig sein muss. Wer hier längere Zeit, mehr als unbedingt notwendig, auf eine Erwerbsbeteiligung verzichtet oder nur geringfügig erwerbstätig ist, müsste sich bei Scheidung die Folgen gänzlich zurechnen lassen. Soweit sind wir noch nicht – aber längerfristig zeichnet sich diese Tendenz ab. Dann gäbe es die ehebedingten Nachteile nur noch in Ausnahmefällen. Aber es wird zunehmend schwerer, die Verantwortlichkeit für ein Verhalten zurück zu weisen, das sich im Nachhinein als nachteilig erweist. Die post-industriellen Lebensbedingungen machen es schwerer, eine bestimmte biographische Entscheidung als alternativlos darzustellen.
Zur aktuellen – post-industriellen – Ungleichheit zwischen Frauen und Männern ist noch einmal zu betonen, dass die während der Ehe entstehende Einkommensungleichheit eine neue Bedeutung bekommt – als eine "erworbene" Ungleichheit zu Lasten der Frau, nicht als eine vor der Ehe bereits ausgeprägte. Diese Ungleichheit geht jedoch nicht auf eine einzelne Entscheidung oder ein einzelnes Ereignis zurück – etwa die Geburt eines Kindes. Mit diesem Ereignis entstehen eher neue Entscheidungsnotwendigkeiten, etwa im Verhältnis zur Kinderbetreuung, zu flexiblen Arbeitszeiten, zu Haushaltsdienstleistungen.
Diese Bandbreite an Optionen (post-industrieller Natur!) macht die Identifizierung bzw. Klassifizierung von Nachteilen als "ehebedingt" schwierig. Wenn sich im Zeitverlauf eine ungleiche Einkommenssituation herausbildet, ist dies häufig weder eindeutig auf einzelne Entscheidungen des Individuums oder des Paares rückführbar noch nur auf gesellschaftliche Bedingungen. Vielmehr wird in den Lebensläufen von Frauen jüngeren oder mittleren Alters zum Zeitpunkt der Scheidung d...