Mit den letzten Punkten kommt schon die subjektive Dimension in den Blick, der Lebensentwurf. Hier ist außer der steigenden Relevanz von Bildung und partnerschaftlicher Lebensweise vor allem auch das Frauen wie Männern gemeinsame Streben nach inhaltlich befriedigender Arbeit und der Wandel des Verhältnisses zu Kindern (also die Kinderzahl und die Erziehungsmethoden, vgl. Geissler 2009) zu nennen. In der post-industriellen Gesellschaft werden Kinder zunehmend zum subjektiven Lebenssinn. Viele Frauen unterbrechen auch deshalb ihre Berufstätigkeit, weil sie die Mutterschaft bewusst erleben wollen. Sie nehmen sich die Zeit, um das Zusammensein mit dem Kind bewusst zu gestalten. Das ist eines der Ergebnisse meiner Studie zur "Lebensplanung junger Frauen" (Geissler/Oechsle 1994 und 1996) schon aus den 1990er Jahren und wird durch neuere Studien belegt.
Diese Prozesse weisen auf eine doppelte Modernisierung des Frauenlebens hin – als Erweiterung der strukturell zugänglichen Optionen wie auch als Individualisierung der Leitbilder, Lebensformen und biographischen Ziele. Die Erweiterung der Optionen vor allem im jungen Erwachsenenalter geht auf das gestiegene Bildungsniveau, aber auch auf eine systematische Umorientierung der Familien- und Sozialpolitik zurück (vgl. dazu Bleses/Seeleib-Kaiser 1998 und 1999). Die Anreize für Frauen, mit der Geburt eines Kindes (nicht mit der Heirat), ihre Erwerbsarbeit zu reduzieren, wurden zwar seit Mitte der 1980er Jahre zunächst nicht abgebaut, sondern familienpolitisch mit dem Erziehungsurlaub aufrecht erhalten. Dieses "Angebot" reagierte zum einen auf die sinkenden Geburtenzahlen, zum anderen aber auch auf einen komplexen Wandel der Lebensläufe und der subjektiven Lebensentwürfe von Frauen. Denn die Jüngeren haben nicht nur ein steigendes Bildungs- und Erwerbsinteresse; die kulturelle Modernisierung hat auch ein neues Verhältnis zu Kindern mit sich gebracht. Viele junge Frauen sehen in der Lebensphase mit einem kleinen Kind auch eine Zeit "für sich", ein Element der Selbstverwirklichung. Die überwältigende Akzeptanz des Erziehungsurlaubs geht auf diese doppelte Modernisierung des Frauenlebens zurück: der Wunsch nach einer intensiven und individualisierten Beziehung zu jedem einzelnen Kind und zugleich die Perspektive einer kontinuierlichen Berufstätigkeit.
Kontinuierlich berufstätig zu sein, heißt allerdings – in der subjektiven Sicht – nicht immer "ohne Unterbrechung". Wie die Studie zur Lebensplanung (Geissler/Oechsle 1996) gezeigt hat, sieht eine wachsende Zahl junger Frauen den Erziehungs- bzw. Elternurlaub nicht als Unterbrechung; sie nehmen quasi eine “virtuelle‘ Erwerbskontinuität an, wenn sie zeitweilig nicht berufstätig sind. Und sie sehen sich im Einklang mit einer modernisierten Fassung des Mutter- und Familienbildes.