Das Urteil ist uneingeschränkt zu begrüßen: Es liegt auf der Hand, dass eine abgeschlossene Berufsausbildung eine weitaus bessere Gewähr für eine nachhaltige Sicherung des (Kindes-) Unterhalts bietet, wie wenn der Unterhaltspflichtige gezwungen wäre, den notwendigen Unterhalt durch prekäre Aushilfs- oder Gelegenheitsarbeiten zu erwirtschaften. Statistisch belegt ist denn auch, dass fehlende Ausbildung und berufliche Perspektivlosigkeit weitgehend gleichzusetzen sind: Nach dem Bildungsbericht 2010 betrug der Anteil der Schulabgänger ohne Hauptschulabschluss unter 15- bis 17-jährigen Jugendlichen 7,5 %. Personen ohne abgeschlossene Berufsausbildung werden es, der Prognose der Bildungsforscher zufolge, in Zukunft immer schwerer haben, einen Arbeitsplatz zu finden, weil das Angebot an ungelernten Arbeitskräften den tatsächlichen Bedarf dauerhaft deutlich übersteigt.[3] Vor diesem Hintergrund stellt die Entscheidung des Bundesgerichtshofs das richtige Signal dar; die Erstausbildung des Unterhaltspflichtigen wird privilegiert und aus dem Anwendungsbereich von § 1603 Abs. 2 BGB, der gesteigerten Unterhaltspflicht der Eltern gegenüber minderjährigen, unverheirateten Kindern und Kindern, die zwar volljährig, aber noch nicht 21 Jahre alt sind, ihre allgemeine Schulausbildung noch nicht abgeschlossen haben und im Haushalt eines Elternteils leben, praktisch herausgenommen.

Der XII. Zivilsenat knüpft mit dieser Entscheidung an ein eigenes, früheres Urteil[4] an, in dem dieser Grundsatz bereits festgeschrieben wurde. In der Sache folgen die Karlsruher Richter der Auffassung weiter Teile der familiengerichtlichen Rechtsprechung[5] und der ganz überwiegenden unterhaltsrechtlichen Literatur,[6] die der Erstausbildung des Unterhaltspflichtigen in der Regel ebenfalls den Vorrang vor dessen Erwerbsobliegenheit einräumen.

Besonders erwähnenswert ist, dass die Entscheidung im Einklang mit der sozialrechtlichen Rechtsprechung zu der funktional vergleichbaren Bestimmung des § 10 SGB II bzw. dem früheren § 18 BSHG steht: In der sozialrechtlichen Praxis ist anerkannt, dass die Aufnahme einer Arbeit dem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen jedenfalls dann unzumutbar ist – und damit Leistungen nach dem SGB II zu gewähren sind –, soweit der Hilfebedürftige erstmals eine Ausbildungsmaßnahme absolviert, er für die verfolgte Ausbildung geeignet ist und erwartet werden kann, dass die Ausbildung zu einer geeigneten Arbeit führen wird.[7] Mit dem auf diese Weise hergestellten Gleichklang zwischen unterhalts- und sozialrechtlicher Bewertung wird dem Grundanliegen einer Entschließung des Deutschen Bundestages aus dem Jahr 2000[8] jedenfalls in einem Teilaspekt Rechnung getragen, zu einer wünschenswerten Annäherung zwischen zivil- und sozialrechtlicher Beurteilung beigetragen[9] und vielleicht auch ein kleiner Schritt gemacht hin zu der vielfach geforderten,[10] besseren Abstimmung von Unterhalts- und Sozialrecht.

[3] Vgl. Bildung in Deutschland 2010. 3. Bildungsbericht, hrsg. im Auftrag der Kultusministerkonferenz und des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, Bielefeld 2010 sowie online unter www.bildungsbericht.de.
[4] Vgl. BGH FamRZ 1994, 372. In eine ähnliche Richtung weist auch schon das Urteil des IVb-Senats vom 25.2.1987 – IVb ZR 28/86, FamRZ 1987, 930: Für einen langjährigen Zeitsoldaten genießt die Erstausbildung in einem Zivilberuf – Lehramtsstudium – Vorrang vor dem Unterhaltsanspruch des volljährigen, einen Berufsvorbereitungslehrgang absolvierenden (nicht privilegierten) Kindes.
[5] Für eine Privilegierung der Erstausbildung haben sich ausgesprochen:

KG FF 2011, 209: Erstausbildung zur Fachkraft im Gastgewerbe;

OLG Hamm JAmt 2006, 159 = FamRZ 2006, 726 (LS): Erstausbildung zur Sport- und Fitnesskauffrau;

OLG Jena FamRZ 2005, 1110: Aufnahme einer Qualifizierungsmaßnahme für einen arbeitslosen Schwerbehinderten;

OLG Stuttgart FamRZ 2005, 646: Erstausbildung zur Industriekauffrau im Rahmen einer Qualifizierungsmaßnahme;

KG FamRZ 1981, 301: Nachholung des Abiturs auf dem 2. Bildungsweg mit der Absicht, später Pädagogik zu studieren;

AG Wedding FamRZ 1991, 481: Studium der Theater- und Veranstaltungstechnik.

Eine Privilegierung wird demgegenüber abgelehnt von:

OLG Hamm FamRZ 2007, 1122: Die Unterhaltspflichtige ist gehalten, das angefangene Zahnmedizinstudium zu unterbrechen und eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen, wenn die Regelstudienzeit überschritten und deshalb die Zahlung von Ausbildungsförderung bereits eingestellt wurde und das Studium erst mit 31 Jahren, nach Abbruch einer fast abgeschlossenen Ausbildung als Zahnarzthelferin aufgenommen worden war;

OLG Jena NJW-RR 2004, 76: Keine Privilegierung der Erstausbildung zum Fachinformatiker, wenn der Unterhaltspflichtige für annähernd zwei Jahre als ungelernte Kraft tätig war, obwohl ihm die Notwendigkeit, eine Ausbildung zu beginnen, klar war;

OLG Hamm FamRZ 1998, 979 m. Anm. Born: Eine Privilegierung der Nachholung des Hauptschulabschlusses wird versagt, weil der Unterhaltspflichtige in den annähe...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge