Gabriele Ey
71,5 Prozent der wahlberechtigten Bürger haben am 22. September 2013 die 630 Mitglieder des 18. Deutschen Bundestages gewählt. Der Souverän hat damit seine Repräsentanten für die kommenden vier Jahre bestimmt, die auch zukünftige Familienpolitik legislativ normieren werden.
Die Erwartungen der Wähler zur Familienpolitik haben die Parteien in ihren Wahlprogrammen aufgegriffen. In der Steuerpolitik wurden die Einführung eines Familiensplittings statt des oder neben dem Ehegattensplitting, die Berücksichtigung des Kindesunterhalts bei der Steuer und die Berücksichtigung von Aufwendungen des Unterhaltsberechtigten für den Umgang thematisiert. Die Mütterrente, Krippenplatz und Betreuungsgeld sind im Wahlkampf höchst streitig diskutiert worden. Mehr Freiräume bei der Gestaltung der Elternzeit, die Einführung von Familienarbeitszeit, die Bündelung aller kindbezogenen Leistungen sind gefordert worden. Unmittelbar nach der Wahl haben die Parteien und Fraktionen begonnen, sich neu zu formieren. Der CDU/CSU, die mit 41,5 % die größte Fraktion geblieben ist, stehen SPD und Grüne als mögliche Koalitionspartner zur Auswahl, wenn diese sich dazu bereit finden.
Für die kommende Legislaturperiode hat die angesehene liberale Staatssekretärin im BMJ Dr. Birgit Grundmann auf dem DFGT am 18. September 2013 in Brühl insbesondere Regelungen für die nichteheliche Lebensgemeinschaft angekündigt. Geplant ist die Reform des Vormundschaftsrechts. Auf der Agenda werden sicher Fragen der Elternschaft unter Berücksichtigung der modernen Fortpflanzungsmedizin stehen. Es geht dabei nicht nur um den genetischen, rechtlichen und sozialen Vater, sondern auch um Fragen der Leihmutterschaft, Transsexualität, Intersexualität. Zum Versorgungsausgleich wird manches nachzujustieren sein, insbesondere bei den Betriebsrenten. Mit der vermehrten Berufstätigkeit von Müttern ändert sich auch die Wahrnehmung der Betreuung der Kinder durch die Eltern oder Großeltern. Die Beteiligung der Väter bei der Kindesbetreuung, die Reduzierung der Arbeitszeit für beide Eltern, die mögliche Einführung eines Familiensplittings mit einer von der CDU/CSU angekündigten schrittweisen Anhebung des Kinderfreibetrages auf den für Erwachsene geltenden Freibetrag und die Erhöhung des Kindergeldes und des Kinderzuschlags sowie die zunehmende Betreuung im Wechselmodell werden Folgen für das Unterhaltsrecht haben.
Mit der Abwahl der FDP aus dem Bundestag versammeln sich nicht mehr fünf, sondern vier Fraktionen unter der Kuppel des Reichstagsgebäudes. 230 Abgeordnete sind Newcomer, 96 davon weiblich. Von allen Repräsentanten ist zu hoffen, dass sie Verständnis für die wichtigen Fragestellungen der Familienpolitik und des Familienrechts haben.
Die parlamentarischen Antrittsstrukturen im Oktober 2013 bergen für das Familienrecht und die Familienpolitik die Chance auf einen breiten Konsens. Das Zusammenspiel von Bundestag und Bundesrat könnte ergebnisreicher verlaufen als zuvor, weil der momentane föderale Gegensatz des Parteiengefüges in Bundestag und Bundesrat zwar nicht aufgehoben, aber doch abgefedert wäre: Der schwächere Teil der Regierungsparteien im Bundestag ist zugleich ein maßgeblicher Teil der Mehrheitsparteien im Bundesrat. Das könnte die Idee des kooperativen Föderalismus neu beleben. Entscheidungen im Bundestag und in der Länderkammer könnten, ja müssten dann zunehmend auf einem breiten Kompromissfundament zustande kommen.
Die Antrittsstrukturen erscheinen so betrachtet auch für die Familienpolitik nicht ungünstig. Fragen von hoher ethischer Bedeutung und wichtige gesellschaftspolitische Themen sind zu behandeln. Sie bedürfen einer möglichst breit aufgestellten Diskussion und eines überparteilichen Kompromisses. Es ist zu hoffen, dass sich die Politiker bei ihrem Entscheidungsprozess mit dem notwendigen Fachwissen rüsten, um die zum Teil hochkomplexen rechtlichen Fragestellungen zu durchdringen, und sich der großen Verantwortung bewusst bleiben, die sie für die Familien und insbesondere die Kinder tragen.
Autor: Gabriele Ey
Gabriele Ey, Vorsitzende Richterin am OLG Köln
FF 10/2013, S. 381