Gabriele Ey
Entscheidungen zum Unterhalt, zum Zugewinn und zum Versorgungsausgleich setzen häufig längere Berechnungen voraus. Diese können mithilfe von Computerberechnungsprogrammen, die aus der Praxis von Familienanwälten und Familienrichtern nicht mehr hinweg zu denken sind, zuverlässig durchgeführt werden. Sie ermöglichen über das reine Rechenwerk hinaus die Berücksichtigung aktueller Rechtsprechung und bei richtiger Anwendung die zumeist vollständige Befassung mit dem Vorbringen der Beteiligten. Sie enthalten aber auch zahlreiche Fallstricke, über die nur derjenige nicht stolpert, der die Programme versteht und die Strukturen des Familienrechts kennt.
Richterschulungen, die die technische Anwendung des Programms vermitteln, sind erforderlich, um Eingabe- und Bedienungsfehler möglichst zu vermeiden und eine ordnungsgemäße Bedienung der Programme zu sichern. Sie können auch dazu beitragen, dass die Darstellung des Zahlenwerks in der gerichtlichen Entscheidung auf eine Weise erfolgt, die nicht unnötige Textwiederholungen oder nicht benötigte Zusatzinformationen wiedergibt, die beim Leser für Verwirrung sorgen (vgl. OLG Zweibrücken FamRZ 2004, 1735). Damit wäre schon ein großer Schritt erreicht, um die gerichtlichen Entscheidungen für den Betroffenen und seinen Anwalt verständlich zu machen. In der Praxis kommt es häufig vor, dass bereits die verwirrende Darstellung des Zahlenwerks und die fehlende oder fehlerhafte Erläuterung von Zahlen oder Berechnungsschritten zur Einlegung von Rechtsmitteln führen.
Mit dieser Form von Schulungen allein kann es aber nicht getan sein. Nötig ist vielmehr, dass die in Familiensachen tätigen – zunehmend dienstjungen – Richter und Richterinnen in geeigneten Schulungen mit dem materiellen Familienrecht vertraut gemacht werden, damit sie überhaupt in der Lage sind, die hinter den Rechenprogrammen stehenden Parameter zu erkennen und zu bewerten. Auch wenn die Berechnungsprogramme sie bei der Entscheidung mit einem mathematisch zuverlässigen Rechenwerk unterstützen, so können sie ihnen doch nicht die im Rahmen der Berechnung notwendigen Einzelwertungen abnehmen und die am Ende einer jeden Berechnung erforderliche Billigkeitsabwägung ersparen. Hierauf hat die Vorsitzende des Deutschen Familiengerichtstages, Dr. Isabell Götz, in ihrem Grußwort zur 18. Jahresarbeitstagung des Fachinstituts Familienrecht im DAI (abgedruckt im Editorial von Norbert Kleffmann, FuR 2015, 309) zu Recht nachdrücklich hingewiesen.
Jeder Praktiker wird ohne längeres Suchen gerichtliche Beschlüsse zur Hand haben, die im Wesentlichen aus einem Auszug der Computerberechnung bestehen, häufig allenfalls ergänzt durch einführende Erläuterungen zu einzelnen Punkten, die sich dann in der eigentlichen Berechnung nicht immer nachvollziehbar wiederfinden. Damit wird ein zuverlässiges mathematisches Hilfsmittel in seiner konkreten Anwendung zu einem für den betroffenen Bürger nicht nachvollziehbaren Instrument.
Die unveränderte Aufnahme der digitalen Berechnung in die Entscheidungsbegründung ist auch unter dem Gesichtspunkt der Rechtsstaatlichkeit, zu der auch die Sprachverständlichkeit gehört, bedenklich. Familiengerichtliche Entscheidungen treffen das Leben des Bürgers oft empfindlich. Der Bürger hat einen Anspruch darauf, dass er eine gerichtliche Entscheidung auch verstehen kann. Der Begründungszwang in anfechtbaren Entscheidungen ist schließlich Bestandteil einer geordneten Rechtspflege und soll den Beteiligten die sachgemäße Wahrung ihrer Rechte ermöglichen, damit sie die maßgeblichen Erwägungen nachvollziehen, verstehen und überprüfen können (OLG Saarbrücken FamRZ 2011, 745). Es ist daher nicht nur eine verbreitete Unsitte, sondern auch rechtsstaatlich bedenklich, wenn den Bürger elementar betreffende Entscheidungen mit Computerbausteinen zusammengebastelt werden. Hierdurch können Entscheidungen zustande kommen, die inkohärent und unausgewogen sind. Unabdingbare Maßgabe bei der Abfassung eines Urteils sollte, worauf schon der Richter am Supreme Court of the United States Benjamin N. Cardozo (1870–1938) hingewiesen hat, die Klarheit sein.
Autor: Gabriele Ey
Gabriele Ey, Vors. Richterin am OLG, Köln
FF 10/2015, S. 381