Dass es im Leben des Menschen zwei Phasen gibt, in denen er auf die Unterstützung seiner Mitmenschen angewiesen ist – nämlich die frühe Kindheit und das hohe Alter – ist eine Binsenweisheit. Gleichwohl war der Elternunterhalt in der gerichtlichen Praxis lange Zeit bedeutungslos. Der Münchener Kommentar – ein mehrbändiger Großkommentar – widmete ihm in der dritten Auflage (1992) nicht einmal zwei Zeilen mit dem Bemerken, dass solche Ansprüche selten streitig werden. Veröffentlichte Rechtsprechung lässt sich erst seit dem Ende der 80er-Jahre nachweisen, als immer mehr Sozialämter begannen, Kinder im Wege des Regresses in Anspruch zu nehmen. Zuständig waren damals die Amtsgerichte mit der Berufung zu den Landgerichten. Dass sich schon 1991 ein Familiensenat mit der Sache befassen konnte, beruhte auf einem Reflex des eigentlich zuständigen Amtsrichters. Er las "Unterhalt" und schrieb die Sache dem Kollegen in der Familienabteilung zu. Dieser übernahm sie und mit der Entscheidung des eigentlich unzuständigen Familiengerichts war der Weg zum OLG und nach der zugelassenen Revision zum BGH eröffnet. Dieser hat 1992 die Abweisung der Klage bestätigt.
Hatte sich die bis dahin veröffentlichte Rechtsprechung der Landgerichte an den unterhaltsrechtlichen Leitlinien der Oberlandesgerichte orientiert, verließ das OLG Oldenburg diese Pfade und formulierte als Leitsatz:
Zitat
"Für die Bemessung des Verwandtenunterhalts gelten nicht dieselben Maßstäbe wie für Unterhaltsansprüche geschiedener Ehegatten; somit kann weder auf Unterhaltsrichtlinien noch auf Unterhaltstabellen für auseinandergebrochene Ehen zurückgegriffen werden."
Die damals angeführten Überlegungen sind unverändert aktuell.
Betraf der seinerzeit entschiedene Fall noch eine unzulängliche Altersversorgung, ist die Rechtsprechung beim Elternunterhalt heute nahezu ausnahmslos mit dem Lebensunterhalt in Einrichtungen (§ 27b SGB XII) bzw. den Hilfen zur Pflege (§§ 61 ff. SGB XII) befasst. Die Ansprüche dienen schon lange nicht mehr dazu, den eigenen Eltern ein auskömmliches Einkommen im Alter zu sichern und ihnen einen angenehmen Lebensabend zu gestalten. Die gerichtlichen Konflikte sind daher nicht Ausdruck einer fehlenden familiären Solidarbeziehung. Sie resultieren vielmehr aus einem fiskalischen Interesse. Über das Unterhaltsrecht sollen Finanzierungslücken bei den nicht durch die Pflichtleistungen der Sozialversicherung gedeckten Kosten geschlossen werden. In der Sache handelt es sich also durchweg um die Deckung eines besonderen Bedarfs aufgrund eines spezifischen Lebensrisikos im Alter. Dementsprechend treten als Antragsteller auch nicht die betagten Eltern auf, sondern Sozialämter, die Unterhaltsansprüche aus übergegangenem Recht inzwischen sehr konsequent verfolgen. Die nachfolgenden Ausführungen beschränken sich daher auch auf diesen Aspekt. Bei behinderten und pflegebedürftigen Kindern ist der Regress von vornherein auf einen symbolischen Betrag begrenzt (§ 94 Abs. 2 S. 1 SGB XII), so dass diese Fälle für die familiengerichtliche Praxis eine nur marginale Bedeutung haben.