Ein bestehender Anspruch findet seine Grenze bei der Verwirkung. Für diese gibt es drei ganz verschiedene Ansatzpunkte:
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die Verwirkung im engeren Sinn durch Zeitablauf. Diese knüpft an das vom Berechtigten hervorgerufene Vertrauen des Unterhaltsschuldners an, für zurückliegende Zeiträume nicht mehr auf Unterhalt in Anspruch genommen zu werden. Sie hat ihre Grundlage in § 242 BGB. In der Rechtsprechung hat sich die Zeitschranke von einem Jahr durchgesetzt und wird generell akzeptiert. |
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die Verwirkung im weiteren Sinn, bei der ein Berechtigter seinen Anspruch aufgrund eigenen Verhaltens teilweise oder ganz einbüßt. Dies bezieht sich auf die in § 1611 BGB genannten Gründe:
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die durch eigenes, sittliches Verschulden des Berechtigten herbeigeführte Bedürftigkeit, |
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eine grobe Vernachlässigung der eigenen Unterhaltspflichten gegenüber einem nunmehr unterhaltspflichtigen Kind, |
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eine schwere vorsätzliche Verfehlung gegen den Unterhaltspflichtigen oder dessen nahen Angehörigen. |
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Alle in § 1611 BGB genannten Gründe sanktionieren ein dem Unterhaltsberechtigten anzulastendes Fehlverhalten. Dabei genügt nicht jede Normabweichung; diese muss ein erhebliches Gewicht haben und zudem subjektiv vorwerfbar sein. Schaut man auf die Rechtsprechung zur Verwirkung, gibt es offenbar nur vorbildlich handelnde Eltern, jedenfalls keine solchen, die sich grob pflichtwidrig verhalten. Ein Blick auf die Verfahren in den Kindschaftssachen lässt daran zweifeln. Die Anforderungen der Rechtsprechung sind so hoch, dass kaum ein Anspruch an dieser Hürde scheitert. Selbst schwerste Kränkungen und Beleidigungen gelten zwar als menschlich und gesellschaftlich bedauerliche Entgleisungen. Wenn sie sich aber nicht auf einem "völlig ungewöhnlichen Niveau" bewegen, führen sie noch nicht zu einer Kürzung oder Versagung des Unterhaltsanspruchs. Stößt man auf eine schwere Verfehlung, fehlt es an der subjektiven Vorwerfbarkeit. Bei Suchterkrankungen gleicht die Abgrenzung zwischen sittlichem Verschulden und krankheitsbedingter Uneinsichtigkeit einem Blick in die berühmte Glaskugel. Nach der Rechtsprechung des BGH genügt für eine schuldhafte Verfehlung – mag sie noch so schwere Folgen haben – nicht ein Handeln mit "natürlichem Vorsatz". Jede krankhafte Fehlsteuerung steht einem Unwerturteil entgegen. Bei diesen hohen Voraussetzungen grenzt die Führung des dem Pflichtigen obliegenden Beweises an Unmöglichkeit – vor allem dann, wenn die Vorfälle in die Kinderzeit zurückreichen und sich die Leistungsträger nicht einmal fundiert erklären können. Dabei wollte der Gesetzgeber mit der 1969 vorgenommenen Änderung die Anwendung der Norm erleichtern, weil Unterhaltslasten oft sehr viel schwerer wiegen, als die Beschränkungen des Erblassers im Pflichtteilsrecht.
Die Gründe selbst sind abschließend. Das Gesetz enthält – anders als § 1579 BGB – keine allgemeine Öffnungsklausel. Es greift jedoch zu kurz, die Verwirkung ausschließlich an schuldhaften Verfehlungen des Berechtigten festzumachen. Die Unbilligkeit ist nicht Sanktion, sondern folgt aus der Sicht des Pflichtigen. Entscheidend ist aus seiner Warte nicht der Grad der Vorwerfbarkeit einer Handlung, sondern die sich für ihn ergebenden Folgen.
Dies führt zu einem weiteren Aspekt, der in der Sache nicht geringer wiegt, bei der traditionell engen Auslegung durch die Rechtsprechung sich jedoch kaum unter die Tatbestandsmerkmale des § 1611 BGB subsumieren lässt. Es ist
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die für den Unterhaltspflichtigen unbillige Härte. Die Notwendigkeit eines verschuldensunabhängigen Korrektivs folgt aus dem System des Elternunterhalts. Dieser ist zwar dem Prinzip familiärer Solidarität verpflichtet. Als Rechtsanspruch behauptet er sich aber unabhängig von jeder gelebten Solidarität allein aus dem familiären Status. |
Es entspricht bereits der Sicht des historischen Gesetzgebers, einen Unterhaltsanspruch dann entfallen zu lassen, wenn der "Bedürftige durch unwürdiges Verhalten das Familienband zerrissen hat". Angesichts einer zunehmenden Entkoppelung des Unterhaltsrechts von persönlicher Verantwortung und individuellem Wohlverhalten hat Meder schon 1995 vorgeschlagen, das Merkmal der "schweren Verfehlung" nicht als Schuldkriterium, sondern als Härtegrund aufzufassen. Damit wäre es möglich, beim Unterhalt sachgerecht auf die Fälle schwer gestörter Eltern-Kind-Beziehungen zu reagieren. Der Fokus liegt unabhängig von jedem Unwerturteil auf den traumatischen Erlebnissen und Erfahrungen aus der Kinder- und Jugendzeit. Traumata aus dieser Zeit können so gravierend sein, dass für das Kind jede weitere Verbindung zu dem Elternteil – und sei es in der Form finanzieller Transfers – unzumutbar wird.
Ein beeindruckendes Beispiel liefert die an einer schizophrenen Psychose und Wahnvorstellungen leidende Mutter, die ihren Sohn in den ersten zwölf Lebensjahren erzogen hatte, u.a. mit der Folge eines bei ihm ausgelösten Waschzwangs – also einer psychischen Störung mit hohem Krankheitswert. Demgegenüber steht der Fall eine...