Der einstimmige Kammerbeschluss bestätigt die restriktive Haltung des BVerfG bei der Überprüfung und vorläufigen Außervollzugsetzung von Rückführungsanordnungen nach dem Haager Kindesentführungsübereinkommen (HKÜ) vom 25.10.1980.[1]

Das im Verhältnis Deutschlands zu fast 90 Staaten, darunter Bosnien-Herzegowina als Nachfolgestaat des ehemaligen Jugoslawien, geltende Übereinkommen soll eine möglichst schnelle Rückführung und Sorgerechtsentscheidung am früheren gewöhnlichen Aufenthalt der Kinder sicherstellen. Dass das "schneidige" Regelwerk mit den Grundrechtspositionen des Kindes und beider Elternteile aus Art. 2 Abs. 1 und 2, Art. 6 Abs. 1 bis 4, 11, 16 Abs. 2 und 103 Abs. 1 GG vereinbar ist, steht außer Frage; nach der Rechtsprechung des EGMR[2] erfordert das Recht des zurückgelassenen Elternteils auf Achtung seines Familienlebens aus Art. 8 EMRK geradezu seine konsequente Umsetzung. Eine Ablehnung der Rückführung des widerrechtlich nach Deutschland verbrachten Kindes lässt Art. 13 HKÜ daher nur ganz ausnahmsweise zu.

Fehlende Sorgerechtsausübung oder Einverständnis des zurückgelassenen Elternteils gemäß Art. 13 Abs. 1 lit. a HKÜ oder beachtlicher Widerstand eines älteren Kindes nach Art. 13 Abs. 2 HKÜ kamen hier nicht in Betracht. Die Gefahr einer ungewöhnlich schwerwiegenden Beeinträchtigung des Kindeswohls i.S.v. Art. 13 Abs. 1 lit. b HKÜ hatten die Fachgerichte im Streitfall verneint. Eine kindeswohlschädliche Trennung des noch nicht vier Jahre alten Kindes von seiner Mutter drohe nicht allein deshalb, weil diese bei einer Rückkehr in ihr Heimatland mit Repressionen der väterlichen Familie oder Strafverfolgung rechnen müsse; weder seien Mutter und Kind dort unmittelbar der Gewalt des Vaters ausgesetzt, noch sei ihnen jede Möglichkeit zur rechtlichen Gegenwehr genommen.

Den gegen diese Erwägungen vorgebrachten Bedenken folgt das BVerfG nicht, ohne auf die Behauptung, die Institutionen des HKÜ-Vertragsstaats und EU-Beitrittskandidaten Bosnien-Herzegowina seien korrupt und die Mutter müsse den starken Arm des Vaters fürchten, sobald sie mit dem Kind entgegen ihrer Fluchtrichtung die Grenze überquere, näher einzugehen.

Eine Gefährdung des Kindes ist aus Sanktionen, die dem entführenden Elternteil im Heimatstaat drohen, regelmäßig nicht abzuleiten[3] und für andere auf das Kind zurückwirkende erhebliche Gefährdungen der Mutter sah die Kammer offenbar keinen Anhaltspunkt.

Michael Frohn, Richter am OLG, Köln

FF 10/2016, S. 398 - 401

[1] Grundlegend: BVerfG, Beschl. v. 15.8.1996 – 2 BvR 1075/96, FamRZ 1996, 1267 = NJW 1996, 3145.
[2] Urt. v. 15.1.2015 – 4097/13.
[3] BVerfG, Beschl. v. 29.10.1998 – 2 BvR 1206/98 (Tz 68), BVerfGE 99, 145 = FF 1999, 22.

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