GG Art. 6 Abs. 2; BVerfGG § 32 Abs. 1; HKÜ Art. 3 12 Abs. 1 13 Abs. 1 lit. b
Leitsatz
Das Bundesverfassungsgericht sieht in Rückführungsfällen in der Regel von dem Erlass einer einstweiligen Anordnung ab, um den Zweck des HKÜ, das widerrechtlich ins Ausland gebrachte Kind möglichst schnell zurückzuführen und die Sorgerechtsentscheidung am Ort des früheren gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes sicherzustellen, nicht zu beeinträchtigen.
(Leitsatz der Red.)
BVerfG, Beschl. v. 18.7.2016 – 1 BvQ 27/16 (OLG München, AG München)
1 Gründe:
[1] I. Die Antragstellerin wendet sich im Wege eines isolierten Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung unter Ankündigung der Erhebung einer Verfassungsbeschwerde gegen die Anordnung einer Kindesrückführung nach Art. 12 Abs. 1 des Haager Übereinkommens über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung (im Folgenden: HKÜ).
[2] 1. a) Die Antragstellerin und ihr Ehemann sind die Eltern eines im August 2012 geborenen Kindes. Sie lebten zunächst gemeinsam mit dem Kind in der Ehewohnung in S. (Bosnien und Herzegowina). Nach einer Auseinandersetzung zwischen den Eltern – bei der die Antragstellerin nach ihren Angaben von ihrem Ehemann auch geschlagen und verletzt wurde – verzog diese im November 2015 in das Haus ihrer Eltern in O. (Bosnien und Herzegowina). Am 11.12.2015 erließ das Amtsgericht O. auf Antrag der Antragstellerin einen Beschluss gegen den Ehemann, mit dem diesem untersagt wurde, sich der Antragstellerin zu nähern. Eine Berufung des Ehemanns gegen diesen Beschluss wurde durch das Kantonsgericht O. zurückgewiesen.
[3] Am 22.12.2015 erließ das Amtsgericht S. auf Antrag des Ehemanns einen Beschluss, in dem der Umgang des Ehemannes mit seinem Kind vorläufig geregelt und die Antragstellerin zur Herausgabe des Reisepasses des Kindes verpflichtet wurde. Ohne Wissen und Wollen des Ehemannes verließ die Antragstellerin um den Jahreswechsel mit dem gemeinsamen Kind Bosnien und Herzegowina und zog zu ihren in Deutschland lebenden Eltern. Am 10.3.2016 erließ das Amtsgericht S. im Wege einer einstweiligen Anordnung einen Beschluss, mit dem das Sorgerecht auf den Ehemann übertragen und die Anordnung getroffen wurde, dass das Kind an diesen herauszugeben sei.
[4] b) Am 2.3.2016 beantragte der Ehemann zudem beim Amtsgericht München auf der Grundlage des Art. 12 Abs. 1 HKÜ die Rückführung des Kindes nach Bosnien und Herzegowina. Diesem Antrag gab das Amtsgericht München mit Beschl. v. 1.4.2016 statt und ordnete die Rückführung des Kindes durch die Antragstellerin innerhalb von zwei Wochen nach Eintritt der Rechtskraft des Beschlusses an. Für den Fall, dass die Antragstellerin dieser Aufforderung nicht nachkommen sollte, wurde die zwangsweise Herausgabe des Kindes angeordnet. Der Rückführungsantrag sei zulässig und begründet. Die Antragstellerin habe das ihrem Ehemann zustehende Mitsorgerecht für das gemeinsame Kind i.S.d. Art. 3 HKÜ verletzt. Umstände i.S.d. Art. 13 Abs. 1 lit. b HKÜ, die einer Rückführung ausnahmsweise entgegenstehen könnten, lägen nicht vor.
[5] c) Die hiergegen gerichtete Beschwerde wurde mit Beschluss des Oberlandesgerichts München vom 6.7.2016 zurückgewiesen. Das Amtsgericht habe rechtsfehlerfrei angenommen, dass das Kind widerrechtlich i.S.d. Art. 3 HKÜ nach Deutschland verbracht worden sei. Der gewöhnliche Aufenthalt des Kindes unmittelbar vor der Ausreise nach Deutschland habe in Bosnien und Herzegowina, also einem anderen Vertragsstaat des HKÜ gelegen, so dass es für die Frage einer Verletzung des bestehenden Sorgerechts auf das Recht dieses Staates ankomme. Das Amtsgericht habe zutreffend festgestellt, dass den Eltern das Sorgerecht gemeinsam zugestanden habe und die Ausreise des Kindes nach Deutschland daher nur gemeinsam hätte beschlossen werden können.
[6] Rechtsfolge des widerrechtlichen Verbringens des Kindes nach Deutschland sei gemäß Art. 12 Abs. 1 HKÜ die Rückführung des Kindes. Eine Rückführungsanordnung dürfe nur ganz ausnahmsweise unter den engen Voraussetzungen des Art. 13 HKÜ unterbleiben. Berücksichtigt werden könnten nur außergewöhnlich schwerwiegende Beeinträchtigungen des Kindeswohls. Zu Recht habe das Amtsgericht angenommen, dass derartige Ausnahmetatbestände nicht vorlägen.
[7] Insbesondere sei eine Rückführung des Kindes nicht mit der schwerwiegenden Gefahr eines körperlichen oder seelischen Schadens verbunden. Auch brächte die Rückführung es nicht auf andere Weise in eine unzumutbare Lage. Nach Sinn und Zweck der Norm und der Gesamtsystematik des HKÜ sei der Ausnahmetatbestand des Art. 13 Abs. 1 lit. b HKÜ nicht bereits dadurch erfüllt, dass das Kind durch die Rückführung nach Bosnien und Herzegowina mit einem erneuten Wohnortwechsel und der Änderung in seinem sozialen Umfeld konfrontiert wäre. Dabei handele es sich um typische Belastungen, die mit jeder Kindesrückführung einhergingen und die das HKÜ als notwendige Nebenfolge hinnehme. Diese restriktive Auslegung sei geboten, um zu vermeiden, dass die grundsätzlich bestehende Rückführungspflicht du...