In der schon angesprochenen Entscheidung vom 27.11.2019 hatte sich der BGH erneut mit den Voraussetzungen für die Einrichtung eines paritätischen Wechselmodells zu befassen. Erwähnenswert ist diese Entscheidung vor allem deshalb, weil der BGH dazu Stellung nimmt, ob für eine Entscheidung zum Umgangsrecht die Voraussetzungen des § 1696 Abs. 1 BGB gegeben sein müssen, weil bereits eine Entscheidung zum Aufenthaltsbestimmungsrecht, also zum Sorgerecht, vorliegt. Der BGH verneint dies. Sorge- und Umgangsrecht seien zwei selbstständige Verfahren. Eine erstmalige Regelung des Umgangsrechts richte sich allein nach § 1684 BGB. § 1696 BGB finde auch dann keine Anwendung, wenn bereits eine Regelung zum Sorgerecht vorhanden sei. Mit einer Entscheidung zum Sorgerecht sei nicht zwingend eine Entscheidung für das Residenzmodell verbunden. Auch in den Fällen, in denen einem Elternteil das Aufenthaltsbestimmungsrecht eingeräumt worden sei, könne über § 1684 BGB ein paritätisches Wechselmodell eingerichtet werden.
Für die Praxis bedeutet dies eine genaue Prüfung, ob und bejahendenfalls in welchem Bereich (Sorge oder Umgang) bereits eine gerichtliche Entscheidung vorliegt. Nur soweit eine solche vorliegt, greift § 1696 Abs. 1 BGB ein. Entsprechend entfaltet die im jeweiligen Verfahren erlassene Entscheidung keine übergreifende Bindungswirkung auch für die Entscheidung im Parallelverfahren.
In diesem Zusammenhang lohnt sich ein Blick auf die Entscheidung des 13. Familiensenats des OLG Brandenburg vom 6.7.2020, in dem der Senat eine Beschwerdeentscheidung zum Umgang getroffen hat, während das Sorgerechtsverfahren über das Aufenthaltsbestimmungsrecht noch beim AG anhängig war. Die Entscheidung zeigt die trotz der Positionierung des BGH zum Thema Wechselmodel bestehenden Probleme der Praxis über das Verhältnis von Sorgerechts- und Umgangsentscheidung auf, wenn es um die Aufhebung eines zuvor praktizierten Wechselmodells geht. Der Senat befand sich hier in der misslichen Situation, eine entscheidungsreife Beschwerde zur angeordneten Umgangsregelung vorliegen zu haben, mit der ein praktiziertes Wechselmodell aufgehoben wurde, während das Verfahren zum Aufenthaltsbestimmungsrecht noch beim Amtsgericht anhängig war. Die Entscheidung des Senats macht, ebenso wie die zuvor erwähnte Entscheidung des BGH, für die Praxis deutlich, dass anwaltliche Vorsicht im Hinblick auf die Verfahrenswahl geboten ist, wenn es um die gerichtliche Geltendmachung eines Wechselmodells geht. Das Wechselmodell sollte im Rahmen des Umgangsverfahrens beantragt werden, nicht durch Einleitung eines Sorgerechtsverfahrens.
Über die Einrichtung eines paritätischen Wechselmodells gegen den Willen eines Elternteils hatte der 16. Familiensenat des OLG Stuttgart zu entscheiden. Das Wechselmodell sei anzuordnen, wenn die geteilte Betreuung durch beide Eltern im Vergleich mit anderen Betreuungsmodellen dem Kindeswohl im konkreten Fall am besten entspreche. Im zu entscheidenden Fall sei zu berücksichtigen, dass das dreijährige Kind eine enge und tragfähige emotionale Bindung zu beiden Elternteile habe, die Elternhaushalte nur 9 km voneinander entfernt lägen, beide Elternteile gleichermaßen erziehungsgeeignet seien und die notwendige Kooperations- und Kommunikationsfähigkeit aufgrund eines vorgelegten mehrmonatigen WhatsApp-Chat-Verkehrs, aus dem sich ergebe, dass es den Eltern nahezu ausnahmslos gelungen sei, sich über die Belange ihres Kindes angemessen auszutauschen und zu einigen, belegt sei.
Diese Entscheidung wendet die durch den BGH entwickelten Rechtsgrundsätze zum Wechselmodell stringent an und zeigt für die Praxis auf, welche Elemente für die Anordnung eines Wechselmodells auch gegen den Willen eins Elternteils vorliegen müssen und wie die Beteiligten insbesondere die Kommunikationsfähigkeit darlegen können.
Der 10. Familiensenat des OLG Köln hat den VKH–Antrag der Kindesmutter für eine beabsichtigte Beschwerde gegen die amtsgerichtlich erlassene Umgangsregelung inkl. Übernachtungen mangels Erfolgsaussichten zurückgewiesen. Gerade bei – wie hier – geringer Distanz der Wohnorte der Kindeseltern bedürfe, so der Senat, der Ausschluss von Übernachtungen besonderer Rechtfertigung, weil Übernachtungen des Kindes beim umgangsberechtigten Elternteil in der Regel dem Kindeswohl entsprächen. Das bloße Alter eines Kindes sei, so der Senat weiter, kein maßgebliches Kriterium für die Frage der Anordnung von Übernachtungskontakten. Die Entscheidung entspricht der Sichtweise des BVerfG, wird jedoch unter bindungstheoretischen Aspekten kritisch gesehen. Für die Praxis bedeutet dies, dass der Ausschluss von Übernachtungsumgängen nicht alleine mit dem Alter des Kindes oder mit möglichen Stresssituationen begründet werden kann, sondern dass – sowohl auf Seiten des entscheidenden Instanzgericht als auch auf Seiten des Übernachtungen ablehnenden Elternteils – konkrete Tatsachen dargetan werden müssen, die eine Einschränkung des Umgangsrechts rechtfertigen.